So war's (für uns)!
Tanzplattform Deutschland 2024
Angesichts der beachtlichen Zahl an Gästen zum Sonntag Mittag (bei schönstem Sonnenschein) zeigte: Das Interesse an dem Gesprächsformat mit dem Titel „Meet the Jury“ war ganz offenbar da. Von „meet“ konnte aber nicht die Rede sein, denn es war anschließend leider kein Austausch möglich. Es galt das Wort der Jury.
Die Journalistin Bettina Schulte führte charmant und zugewandt durch die Veranstaltung, die sich das anstrengende Konzept aufgesattelt hatte, die in Deutsch vorgebrachten Statements simultan ins Englische zu übersetzen, was rein zeitlich gesehen gefühlt die Hälfte der angesetzten 60 Minuten in Anspruch nahm. Angesichts der Überpräsenz des Englischen in der Tanzszene und der vielen internationalen Gäste muss man sich hier fragen, ob das eine glückliche Idee war.
Letzte Corona-Fördermittel
Viel produziert worden sei noch immer in den vergangenen zwei Jahren, hieß es auf dem Podium. Das waren ganz klar die letzten Ausläufer der Corona-Fördergelder. Und die freie Szene sei (auch aufgrund der Pandemie) deutlich mehr in „größere Strukturen“ eingebunden, beispielsweise durch Kooperationen mit städtischen Theatern. Dieser erhöhte Output hat dazu geführt, dass auf der Basis von mehr als 1100 Einreichungen ganze 560 Stücke gesichtet werden wollten. Diese weitere Steigerung in den Zahlen seit den letzten Ausgaben der Tanzplattform in München und Berlin wurde nicht ohne Stolz formuliert. Aber ist das wirklich etwas Positives?
Was meint „Qualität“?
Die Kriterien für die Auswahl der Produktionen sind unverändert zum Konzept der letzten Jahre: die Verortung der Produzenten in Deutschland, freie Szene, keine reinen Online-Produktionen und natürlich: Qualität. „Regionale Herausgehobenheit“ wollte man sichtbar machen. Das führte dann zu einer Fast-Diskussion darüber, was „deutsch“ sei, wovon wiederum dankbarerweise abgelenkt wurde mit der Bemerkung, Diversität sei jetzt endlich in Deutschland angekommen. Möglicherweise sollte das auch heißen, Diversität ist inzwischen bei den Jury-Mitgliedern Alexander Ernst, Bernhard Siebert, Carmen Kovacs, Mateusz Szymanówka, Juliane Kiss und Adriana Almeida Pees angekommen, die fast zwei Jahre lang sichteten, diskutierten und gemeinsam auswählten.
Diversität bedeutete 2024 auch erstmals ein Stück für junges Publikum („Schwanensee in Sneakers“) und eins mit Blick auf „ältere Tänzer*innen“ („Mellowing“) im Programm gehabt zu haben. Bettina Schulte merkte außerdem an, dass auffällig viele Frauen als Produzentinnen als auch auf der Bühne wahrnehmbar waren. Eine Quote gäbe es zwar nicht, wie das Publikum erfahren durfte, aber die Entscheidung eigener geschlechtlicher Identität wurde seitens der Jury etwas ungeschickt als Präskription für Interpretationsansätze gesetzt.
„Entkörperung“
Auf die Frage nach Tendenzen oder vorherrschenden Themen fiel der Begriff der Entkörperung beziehungsweise dem Ausbleiben eines Bezugs zum (eigenen) Körper. Die Pandemie mit deren Beschränkungen als „Tabuisierung des Körpers“ wurde neben dem Kapitalismus (?) als einer der Gründe dafür angeführt. Daraus resultierte gemäß der Jury auch der Ansatz oder gar das Bedürfnis, sich im Tanz (wieder) stärker von den digitalen Medien zu entfernen.
Schlussendlich stand die Erkenntnis im Raum, dass es für Produktionen der freien Szene offenbar deutlich einfacher sei, international zu touren als national. Hier könnten also die zahlreich anwesenden nationalen Veranstalter*innen noch genauer hinschauen und nicht immer nur ins Ausland.
Wo bleibt der Austausch?
Es sind vor allem Fragen, die diese Veranstaltung aufgeworfen hat. Dass das Publikum keine Gelegenheit bekommen hat, Feedback zu geben, ist schade, denn ist ein Genuss wie Gewinn, mit den Kolleginnen und Kollegen völlig divergente Meinungen über die gesehenen Arbeiten auszutauschen. Es geht nicht um Legitimation. Es geht aber in jedem Fall um Zugänglichkeit und Anbindung. Verstehendes Nachvollziehen der getroffenen Entscheidungen und des Konzepts an sich ist nur möglich, wenn dem ein Dialog vorausgeht. Wenn aber die Jury zum Publikum „herab“ spricht, ist das ein etwas unglückliches Format, mit dem sich die Tanzplattform einer Weiterentwicklung entgegenstellt, weil hier Teilhabe und Demokratisierung fehlen. Das geht bei der nächsten Plattform besser!
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