„Tanz schafft Räume“
Tanzplattform 2024 in Freiburg eröffnet
Zu Beginn thematisiert ein ungewöhnliches Frauenduett den Verkündigungsmoment zwischen der Jungfrau Maria und dem Erzengel: „Annonciation“ entstand 1995 und präsentiert auf feinsinnige Art den Wechsel zwischen Ahnung und Angst, zwischen Schreck und Hingabe und stellt so auf eine durchaus sinnliche Weise die unbefleckte Empfängnis Marias in Frage. Schroffe Electronica-Klänge unterstreichen die übermenschliche Kraft des Engels - mit starker Präsenz getanzt von Mirea Delogu – weich und dem kommenden Schicksal ergeben die Maria von Verity Jacobsen. Sehr berührend inszeniert ist dann der Moment der Hingabe, wenn sich zur Musik von Vivaldis Magnificat die Lippen beider zu einem Kuss vereinigen. Am Schluss sitzt Maria wieder alleine im Lichtstrahl, in der Stille und jeder spürt, dass sie eine Andere geworden ist. Eine sehr sensible Choreografie.
Das zweite Stück des Abends „Torpeur“ (Trägheit) stammt aus 2023 und man hat das Gefühl, als ob es eine Antwort auf die Entbehrungen der Corona-Zeit wäre. Zu einer zunächst sehr dynamischen elektronischen Musik tanzt die Kompanie leichtfüßig und spritzig mit vielen luftigen Hebungen über die Bühne. Doch dann reduziert sich das Tempo bis am Schluss nur noch einzelne Töne wahrzunehmen sind. Je langsamer der Tanz, desto interessanter wird er: zarte Berührungen der Tänzer*innen untereinander, die die Sehnsucht nach Begegnung ausdrücken, Umarmungen zu zweit, zu dritt und ein kollektives sich Fallenlassen ergreift die Szene. Der Tanz bewegt sich am Ende zwischen den Tönen und im finalen Kreis liegend vollbringt die Kompanie einen Traum an Synchronität – das ist Hingabe an die Bewegung pur!
Am Schluss dann Angelin Preljocajs Version von „Les Noces“, der berühmten Ballettkantate von Igor Stravinsky, eine Choreografie aus dem Jahr 1989. Preljocaj interpretiert dieses Musikstück, in dem ein alter russischer Hochzeitsritus besungen, ja beschrien wird, eher gegen das ursprüngliche Libretto: er inszeniert einen Geschlechterkampf für fünf Paare - sehr virtuos und auch in der Schnelligkeit perfekt zusammen getanzt von seinem bravourösen Ensemble. Die Männer nehmen die Frauen in Besitz, werfen sie wie Puppen durch die Luft, um sie gleich danach wieder aufzufangen und fallen zu lassen. Die Frauen wehren sich, antworten mit Kraft und Selbstbewusstsein, das allerdings am Ende die alten Verhältnisse doch nicht ändern kann. Das Stück endet nach virtuosem Tanz mit dem bewegenden und zugleich deprimierenden Fakt, dass keine der Frauen es wagt, aus dem Kontinuum auszubrechen.
Wie eine kleine Werkschau aus verschiedenen Schaffensphasen von Angelin Preljocaj wirkt das Programm, wobei das Spätwerk in seiner Feinheit und Transzendenz das frühe Werk mit seiner Dynamik an Eindrücklichkeit übertrifft. Schade, dass es in Freiburg nur eine Vorstellung davon zu sehen gab.
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