„Strong Born“ von Kat Válastur, Tanz: Xenia Koghilaki, Noumissa Sidibé und Tamar Sonn

„Strong Born“ von Kat Válastur, Tanz: Xenia Koghilaki, Noumissa Sidibé und Tamar Sonn

Ekstatisch energetisch feminin

Zeitgenössische Frauenpower bei „Tanz! Heilbronn“

Fulminanter Festival-Auftakt re-vitalisiert die Fans mit starken choreografischen Statements von Eun-Me Ahn („Dancing Grandmothers“), Ceren Oran („Schön anders“) und Kat Válastur („Strong Born“).

Heilbronn, 21/05/2024

Drei Choreografinnen, drei Tanzstücke, drei unterschiedliche Publikumsreaktionen und eine Zielsetzung: Frauenpower im zeitgenössischen Tanz für möglichst viele Menschen sichtbar und zugänglich zu machen. 

Altersloser Tanz

Eun-Me Ahn nimmt das Publikum zunächst mit auf einen filmischen Streifzug durch ihre südkoreanische Heimat, dem auf der Bühne des Großen Hauses ein ekstatischer Klang-, Farb- und Tanzrausch folgt. Neun Tänzer*innen (sieben Männer, zwei Frauen) in bunt geblümten Kleidern entfesseln eine Tanzorgie, in die auf wundersame Weise die tanzenden Großmütter aus dem Film, nun auf der Bühne, einbezogen werden. Ihr Statement: Tanz kennt kein Alter – in schwingenden Armen und rhythmischen Wiegeschritten manifestiert sich lustvolle Ausgelassenheit. Das Generationen-Projekt ist ansteckend. Nach tosendem Schlussapplaus lässt sich das Publikum, gleich welchen Alters, nicht lange bitten und stürmt die Bühne zum gemeinsamen Tanz.

Wissensdurst und Empathie

„Schön anders“ ist Statement und Titel der 40-minütigen Performance von Ceren Oran und ihrem Kollektiv Moving Borders. Spezialisiert auf junges Publikum untersucht die Münchnerin mit türkischen Wurzeln gemeinsam mit ihrem multikulturellen Team (fünf Tänzerinnen und ein Musiker) die Beziehung von Ich und Welt, von Zugehörigkeit und Nonkonformität. Die Fusion aus Alltagsbewegungen, Modern Dance und Kontaktimprovisation zu minimalistischer Musik ist für die Schüler neu. Aufmerksam folgen die Sechs- bis Zehnjährigen den spannenden, teils lustigen Aktionen. 

Nach enthusiastischem Beifall werden die Akteure mit Fragen überschüttet: „Tut es weh, wenn ihr hinfallt?“, sorgt sich die erste Fragerin und trifft ins Schwarze, denn fallen, zu Boden gleiten und rollen, kurz Bodenkontakt mit dem ganzen Körper sind Teil der Stilistik des zeitgenössischen Tanzes. 

„Wie lange habt ihr geübt? Könnt ihr das auswendig? Warum tragt ihr keine Socken? Warum hängen da so viele Lampen? Wie alt seid ihr eigentlich, woher kommt ihr und warum tanzt ihr? Treibt ihr noch anderen Sport?“ So viel Wissensdurst und Empathie war selten! 

Moderne Musen

„Strong Born“, die wörtliche Übersetzung für Iphigenie ist Titel und Programm der dritten Aufführung des Festivals. Die in Berlin lebende Choreografin Kat Válastur trägt weiß auf schwarz das Statement „We still don’t know how to protect each other“ auf ihrem T-Shirt. Strukturelle Misogynie, Frauenverachtung und Gewalt gegen Frauen – die Opferrolle hat sich im Prinzip seit 2500 Jahren kaum verändert und wir, das sogenannte schwache Geschlecht, wissen immer noch nicht wie wir uns schützen sollen. Bei der Uraufführung der „Iphigenie“ 405 v. Chr. anlässlich der Dionysien, hat es auch nur geklappt, weil ein Theater-Trick angewendet wurde: als Göttin aus der Maschine (dea ex machina), stieg Artemis herab, um Iphigenie zu holen und statt ihrer eine Hirschkuh zu opfern.

Válastur schickt ihre drei Tänzerinnen (Xenia Koghilaki, Noumissa Sidibé und Tamar Sonn) ausgestattet mit Jogginganzug, Sportschuhen, Trinkflasche und Frotteetuch, auf einen Marathon in mythische Vergangenheit. Zunächst dehnen und lockern sie sich auf der kreisrunden Fläche. Noch einen Schluck Wasser, sich zu Dritt gegenseitig Wasser in die Hand gießen oder die Frotteetücher Stäben gleich zusammenführen werden alltägliche Aktionen nach und nach ritualisiert. Mit einem kräftigen Fußtritt von Koghlaki auf den Boden setzt die Bodypercussion ein. 

Aus Wellen endloser Wiederholungen zu variierenden Rhythmen – mal beschleunigt, mal entschleunigt – entwickeln sich Rituale. Der Körper wird nach Relikten aus magischen Zeiten abgeklopft, die Erde zum Beben gebracht, ein energetischer Dauerlauf mit offenem Ziel. 

Schweißglänzend die Haut. Die Reserven lassen nach, die Kontrolle über den Körper wird schwieriger. Schlagzeugerin Valentina Magaletti kommt dazu und legt rhythmisch nach, feuert an. In Schweiß gebadet, auf der Suche nach der verlorenen Ekstase vom Stigma des Opfers gefreit, legen die drei nacheinander Kleidung und Tonabnehmer ab. Drei moderne Musen, stark, feminin und von apollinischer Wohlgestalt.

 

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