Unerwartetes Requiem
„Nahaufnahme Boris Charmatz“, herausgegeben von Marietta Piekenbrock
Boris Charmatz beendet seine Tätigkeit beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Die Stadt Wuppertal bedauert den Weggang von Boris Charmatz, der seit 2022 erfolgreich die künstlerischen Geschicke des Tanztheaters leitet, und dankt ihm sehr für die Vielzahl an außergewöhnlichen künstlerischen Produktionen, die er seit Beginn seiner Intendanz realisieren konnte, darunter Wundertal, Liberté Cathédrale, Club Amour, Fore-ver (Immersion dans Café Müller de Pina Bausch) und Cercles.
Die Stadt hätte gerne weiter mit Boris Charmatz zusammengearbeitet und ist für zukünftige Kooperationen offen und bereit. Der Proben-, Vorstellungs- und Gastspielbetrieb des Tanztheaters wird ab August 2025 durch den stellvertretenden Intendanten Dr. Daniel Siekhaus gewährleistet. Eine neue Intendanz des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch soll zugleich auch die Gründungsintendanz des zukünftigen Pina Bausch Zentrums werden. Eine Entscheidung hierüber wird daher erst erfolgen, wenn der Rat der Stadt Wuppertal eine abschließende Entscheidung zum Bau des Pina Bausch Zentrums getroffen haben wird. Diese Entscheidung steht nach aktuellem Planungsstand spätestens im Jahr 2026 bevor.
„Ich habe es geliebt, in Wuppertal mit und für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zu arbeiten. Ebenso habe ich es geliebt, zusammen mit den TänzerInnen und dem Team des Tanztheaters Wuppertal das Werk von Pina Bausch in vielfältiger Weise und mit großem Respekt zu erschließen. Mit unserer unterschiedlichen Geschichte mussten wir uns erst kennenlernen und verstehen. Das war manchmal komplex, aber immer schön und produktiv. Hierfür danke ich den TänzerInnen und dem Team.“
Die Parteien haben Verschwiegenheit über die Gründe der Vertragsauflösung vereinbart. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass die Bewahrer*innen der Choreografien von Pina Bausch und die innovativen Ansätze neuer Leiter*innen zur Fortentwicklung der Kompanie seit Jahren im ständigen Widerstreit stehen. Da ist einerseits die Pina Bausch Foundation, deren Aufgabe es ist, das Werk der großen Künstlerin lebendig zu halten und deren Ziel es ist, "dass die Stücke von Pina Bausch immer wieder auf der Bühne aufgeführt werden, auf der ganzen Welt". Mit diesem Anliegen hat sie nicht nur zahlreiche immer noch einflussreiche Tänzer*innen der frühen Generationen und das Publikum auf ihrer Seite. Die Foundation finanziert sich auch zum Teil durch Tantiemen an den Aufführungsrechten. Bauschs Sohn Salomon vertritt die Rechte seiner Mutter dabei sehr erfolgreich.
Doch große Künstlerpersönlichkeiten, die die weltberühmte Kompanie in die Zukunft führen wollen, brauchen Freiräume und Zeit für eigene Choreografien, um nicht im Musealen stecken zu bleiben. Charmatz hatte mit seinem Ansatz, sich in die Stadtgesellschaft und in den öffentlichen Raum zu öffnen, einen Aufschlag gemacht. Dass er sich nun so plötzlich zurückzieht, mag daran liegen, dass es äußerst schwer ist, Eigenes zu choreografieren und zugleich den Bedürfnissen nach Wiederaufnahmen und Gastspielen der großen Klassiker nachzukommen. Da bleibt wieder die Frage: wie geht es weiter? Denn wenn eine neue Intendanz des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch zugleich auch die Gründungsintendanz des zukünftigen Pina Bausch Zentrums werden soll, bleibt noch weniger Zeit für zukünftige Kreationen. Schade eigentlich!
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