„JUNGLE“ von KIM Sungyong

Anziehungskräfte

„JUNGLE“ von KIM Sungyong, „Dances for Lucia Długoszewski“ von Weronika Pelczyńska / Elizabeth Ward sowie Luca Bonamores „Silent Lovers“ bei ImPulsTanz

KIM Sungyong beschäftigt sich mit dem Verhalten von Individuen zu und in Gruppen. Weronika Pelczyńska und Elizabeth Ward interpretieren sehr unterschiedlich Kompositionen von Lucia Długoszewski. Luca Bonamore gibt mit viel Feingefühl den Themen Cruising und Sex, aber auch der Liebe einen Raum.

Wien, 06/08/2024

Das Großartige an ImPulsTanz ist Jahr für Jahr, dass man in kurzer Zeit eine Vielzahl an sehr unterschiedlichen Produktionen sehen kann. Neben so manchen Stammgästen werden neue Kompanien eingeladen, Uraufführungen gezeigt und auch jungen Choreograf*innen – meistens in der Reihe [8:tension] – Raum gegeben. Zum ersten Mal zu Gast war nun die Korea National Contemporary Dance Company mit „JUNGLE“, einer Choreografie des aktuellen Leiters KIM Sungyong. Am auffälligsten bei dieser Arbeit ist sicherlich, dass die Tänzer*innen sehr in sich zurückgezogen wirken. Es geht nicht darum, das Publikum zu unterhalten, sondern darum, untereinander in Beziehungen zu treten. Doch die Beziehungen entwickeln sich erst mit der Zeit.

Anfangs sieht man 17 einzelne Individuen. Nur langsam erkennt man, dass ein Miteinander herrscht und es kommt zu einem synchron getanzten Teil, der sich aber auch wieder auflöst. Gliedmaßen werden weit in den Raum gestreckt und wieder zurückgezogen, die Körper wirken sehr durchlässig, es gibt einiges an Partnering aber keine spektakulären Hebungen. Im Programmheft kann man lesen, dass sich „JUNGLE“ ständig weiterentwickelt. Hier wäre es spannend zu erfahren, wie stark die Tänzer*innen auf diese Entwicklung Einfluss nehmen können. Die Lichtregie von Lee Jungyoon setzt auf der leeren Bühne spannende Akzente. KIM ist ein gutes Abbild unserer Gesellschaft im „Dschungel des Alltags“ gelungen. Einerseits sind wir in unserer Persönlichkeit individuell, andererseits finden wir uns immer wieder gemeinsam zusammen. Ein Abend, der noch länger in einem nachwirkt.
 

Zusammenspiel von Musik und Tanz

Für die Uraufführung „Dances for Lucia Długoszewski” hat ImPulsTanz das Klangforum Wien mit den Choreografinnen Weronika Pelczyńska und Elizabeth Ward zusammengebracht. Die amerikanische Komponistin und Tänzerin Długoszewski arbeitete über 40 Jahre mit dem Choreografen Eric Hawkins zusammen. Die polnische Choreografin Pelczyńska gestaltete den ersten Teil des Abends. Sie platziert die Musiker*innen mitten auf der Bühne und bezieht sie auch mit ein; unter anderem sprechen sie Zitate von Długoszewski über Musik. Sehr auf die Musik eingehend hat sie eine Abfolge von Duos und Soli für Liwia Bargieł-Kiełbowicz und Łukasz Przytarski gestaltet. Ihre choreografische Handschrift stellt die Bewegung in den Vordergrund und ist teilweise unterhaltsam. Für Lacher sorgt, dass sie am Ende die Musiker*innen ihre Instrumente, Notenpulte und Stühle inszeniert wegräumen lässt; so entsteht keine langweilige Pause.

Der zweite Teil des Abends beginnt mit einem längeren Monolog der amerikanischen Choreografin Elizabeth Ward, die seit längerem in Wien lebt und arbeitet. In diesem versucht sie, Parallelen zwischen ihrer eigenen Biografie und jener von Długoszewski herzustellen. Das folgende Solo Wards wirkt improvisiert und auch das anschließende Trio, das vor allem aus Gehen und Hüpfern besteht, lässt wenig Bezug zur Musik erkennen. Alles scheint beliebig zu sein und so ist es kein Wunder, dass die Aufmerksamkeit abschweift und man – wie viele im Publikum – lieber das Streichquartett, das vorne rechts auf der Bühne sitzt, beobachtet. Dort ist es nämlich spannend zu sehen, wie einige Male Haarkämme anstatt Bogen verwendet werden und wie sich die Musiker*innen beim Geben von Einsätzen abwechseln. 
 

Sexuelle Ekstase

Einer oftmals marginalisierten Randgruppe der Gesellschaft gibt Luca Bonamore in der Uraufführung von „Silent Lovers“ im Rahmen der Young Choreographers’ Series [8:tension] Raum. Es geht ihm deren Suche nach Sex und vielleicht auch Liebe. Was sehr hart und plakativ klingt wird allerdings mit Witz und Feingefühl umgesetzt. Am Anfang steht die Unsichtbarkeit: Langhaarperücken verdecken die Gesichter der fünf Performer*innen, Ballgags verhindern eine ordentliche Artikulation. Während sich Simeon Ohlsen am Pianino, das er selbst auf die Bühne schieben musste, verausgabt, scheinen die vier Tänzer*innen noch auf der Suche nach sich selbst zu sein. Erst langsam treten sie in einen Bezug zueinander, der in einem intensiven Duo zweier Tänzer, das an einen Balztanz erinnert, endet. Ein Flirt zwischen einem Tänzer und dem Pianisten entsteht. 

Plötzlich der Einsatz von viel Bühnennebel. Iris Omari Ansong erscheint ganz in Weiß gekleidet, erinnert im Auftritt an den Engel aus „Angels in America“. Ist sie eine Erlöserin? Wird sie die Erfüllung bringen? Ein metallisch glänzendes Objekt schwebt herab. Bonamore wird von Ansong ausgewählt, dieses zu empfangen. Spätestens als das Objekt desinfiziert und mit Gleitgel überzogen wird, erkennt man den Buttplug, der in Bonamore eingeführt wird und für sexuelle Ekstase sorgt. Was sich hier wie ein billiger Porno liest, wurde auf der Bühne doch mit viel Ernsthaftigkeit, Respekt vor sexuellen Kinks und auch nachdenklich stimmend umgesetzt. Denn am Ende – sozusagen post Orgasmus – bleibt Bonamore allein zurück. War es nur ein kurzer Kick oder hat er wirklich die Erfüllung gefunden? Seit „Lapse and the Scarlet Sun“, das 2023 bei ImPulsTanz zur Uraufführung gekommen ist, hat sich Bonamore definitiv weiterentwickelt und ist in seiner Arbeit stringenter geworden, was vielleicht auch an der Dramaturgie von Francesca Ferrari liegt. Man darf auf weitere Arbeiten gespannt sein.

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