Altmeisterliches
Tanz im August: Neues von Jérôme Bel und Estelle Zhong Mengual sowie Meg Stuart und Francisco Camacho
Ein Solo von Trajal Harrell und eine Lecture Performance von Jérôme Bel & Estelle Zhong Mengual beim ImpulsTanz in Wien
In den letzten Jahren war Trajal Harrell vor allem mit großformatigen Arbeiten zu Gast bei ImPulsTanz. Auch heuer ist er mit zwei Arbeiten vertreten. Einerseits mit „(M)imosa“, mittlerweile als ImPulsTanz Classic bezeichnet, und dem intimen Solo „Sister or He Buried The Body“, welches 2020/21 entstanden ist – also in einer Zeit, in der man sich zurückgezogen hat. Harrell wollte eine Arbeit mit wenigen Mitteln gestalten. Wie in seinen Anfangsjahren, als er nur mit einer Tasche zu einem Auftritt gehen konnte – also ohne aufwändiges Bühnenbild. Ein bisschen mehr ist es dann doch geworden: mit einem Hocker auf einem Teppich und zwei Bändern ist der kleine Performancespace klar definiert. Die Musik kommt vom Handy und wird über einen Bluetooth-Lautsprecher abgespielt. Ein weiterer Hintergedanke war, ein Solo zu kreieren, das er auch mit 70 noch tanzen kann. Zuerst sitzend und am Ende stehend zeigt Harrell das, was man von ihm gewohnt ist: zarte, flatternde Handgesten, weiche Arm- und Oberkörperbewegungen sowie expressive Mimiken. Im neuen Performanceraum des mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien ist das Publikum ganz nah dran an Harrell, der sehr verletzlich wirkt, und kann so auch Kleinigkeiten gut erkennen. Doch vieles scheint nur innerlich zu passieren. Denn irgendwie hat man sich von dem angekündigten Hintergrund des Stückes – Katherine Dunham, Tänzerin und Anthropologin, begegnet Butoh-Begründer Tatsumi Hijikata – mehr erwartet. So bleibt man am Ende ratlos und zu einem Teil auch enttäuscht zurück.
Bezug zur Natur
Wie wird Natur – verwendet wird die Formulierung „nichtmenschliches Leben“ – in unterschiedlichen Epochen in der Kunst dargestellt? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Kunsthistorikerin Estelle Zhong Mengual bereits seit längerem. Für „Non human dances“ hat sie sich mit dem französischen Choreografen Jérôme Bel, der bereits seit den 1990ern immer wieder bei ImPulsTanz eingeladen ist, zusammengetan. Ihn beschäftigt das Thema Ökologie schon lange. So verzichtet er unter anderem seit einigen Jahren auf das Reisen mit dem Flugzeug, seine Stücke sollen einen geringen ökologischen Fußabdruck haben und es gibt keine Programmhefte mehr. Entstanden ist eine Lecture Performance, die von Estelle Zhong Mengual abgehalten wird. Zur Untermauerung ihrer Überlegungen werden Ausschnitte aus (bekannten) Stücken gezeigt. Diese Ausschnitte sind allerdings teilweise aus dem Kontext gerissen oder werden wie bei Loïe Fullers „Serpentinentanz“, der ohne die für die Arbeiten Fullers wichtig Farbbeleuchtung gezeigt wird, so eingeordnet, dass sie in die aufgestellten Theorien passen. Dass Pina Bausch viel mit dem Motiv der Wiederholung gearbeitet hat, ist bekannt. Ebenso, dass den Bewegungen in der sogenannten Nelken-Linie die Jahreszeiten zugrunde liegen. Doch ob uns genau in diesem kurzen Ausschnitt Bausch zeigen wollte, dass die Jahreszeiten ein ewiger Kreislauf sind, ist schon schon eine sehr frei Interpretation, sind doch die Tänzer*innen in ihren Stücken immer wieder unter anderem Wind, Wasser und Erde ausgesetzt.
Dass Lev Ivanov in „Schwanensee“ versucht hat, in den Bewegungen der Tänzerinnen Schwäne nachzuahmen, ist ebenso hinlänglich bekannt wie die Tatsache, dass der Auftritt Ludwig des XIV. als Sonne in „Ballet de la nuit“ neben dem Bezug zur Natur auch einen politischen Hintergrund hatte. Ebenso ließ sich Isadora Duncan von der Natur inspirieren und so darf natürlich auch „Water Study“ aus ihren „Dances for Children“ nicht fehlen. Einen direkten Bezug zu Veränderungen in der Natur bringt dann der Ausschnitt aus „The Siberian crane“ von Sergiu Matis, das mit einem längeren Text beginnt, in welchem unter anderem erklärt wird, wie Eingriffe in die Natur zum Aussterben von Kranichpopulationen geführt haben. Am Ende dann ein längerer Teil aus „The lions’ vocabulary“ von Xavier Le Roy, der wollte, dass die Tänzer*innen nicht nur die Verhaltensweisen von Löwen darstellen, sondern sich auch wirklich wie Löwen fühlen und durch diese intrinsische Motivation zu ihren Bewegungen auf der Bühne kommen.
So gut es ist, dass das Verhältnis von Tanz und Natur aufgezeigt wird, droht dabei immer die Falle, Vergangenes zu sehr aus heutiger Sicht zu interpretieren. So gibt es durchaus genügend Beispiele von Choreografien in denen wirklich die Natur im Mittelpunkt steht und die auch politische Aussagen treffen. Man denke nur an „Umwelt“ von Maguy Marin (2004), das in einer Neubearbeitung 2021 bei ImPulsTanz zu sehen war. Oder an die österreichische Tänzerin, Choreografin und Pädagogin Erika Gangl, die mit „Erdenklang“ bereits 1982 für ein „ökologisches Verständnis unseres Daseins“ plädierte, wie man im Programm zur Präsentation des Buches „Erika Gangl und der Neue Tanz“ (Herausgegeben von Andrea Amort, Tanja Brandmayr und Gerlinde Roidinger, 2024), die vor kurzem im Rahmen des Festivals stattgefunden hat, lesen konnte.
Tanz für alle
Am 11. August 2024 geht die diesjährige Ausgabe von ImPulsTanz zu Ende. Tradition ist, dass bereits wenige Tage davor Bilanz gezogen wird. Auch heuer kann sich diese durchaus sehen lassen. 51 Produktionen – darunter acht Uraufführungen – von 47 Compagnien standen am Spielplan. Die Frage, wie man das alles schaffen soll, stellte nicht nur Festivalintendant Karl Regensburger bei der Abschlusspressekonferenz in den Raum. Rund 45.000 verkaufte Karten ergeben dabei eine Auslastung von ca. 98 Prozent.
268 Workshops wurden angeboten und in 357 Tanzklassen im Rahmen von „Public Moves“, die neben Wien bereits seit Ende Mai heuer zum ersten Mal auch in Klagenfurt, Linz und Salzburg bei freiem Eintritt an öffentlichen Orten stattgefunden haben, haben sich 18.000 aktiv bewegt. „Man will die Stadt mit Bewegung kontaminieren“, sagte Rio Rutzinger, der gemeinsam mit Fio Losin die Künstlerische Leitung Workshops & Research innehat. Wichtig ist den beiden, dass die Workshops für alle offen sein sollen – Inklusion ist schon seit vielen Jahren ein großes Thema bei ImPulsTanz. Mit unter anderem danceWeb und [8:TENSION] Young Choreographers’ Series wird auch der professionelle Nachwuchs in großem Maße gefördert. Für viele ist seit Jahrzehnten ein Wiener Sommer ohne ImPulsTanz unvorstellbar, herrscht doch in dieser Zeit ein ganz besonderer Vibe in der Stadt.
Wer noch nicht genug bekommen hat, kann noch bis 18. August die spannenden Installationen „Choreographic Objects“ von William Forsythe im Wiener MAK – Museum für angewandte Kunst besuchen – ca. 12.000 haben das bereits getan. Das große Interesse an dieser Ausstellung war bereits am Eröffnungsabend zu erahnen, als sich die Menschen vor dem Museum anstellten. Ende September soll es dann im Wiener Stadtteil Favoriten auch noch einmal öffentliche Tanzklassen geben – das Festival strahlt mittlerweile über die viereinhalb Wochen im Sommer hinaus.
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