„Sea of Silence“ von Tamara Cubas 

Salz und Zungenbrecher

Tanz im August: Postkoloniale Positionen von Tamara Cubas und Soa Ratsifandrihana

Zwischen Ironie und Ritual bewegen sich „Sea of Silence“ von Tamara Cubas und „Fampitaha, fampita, fampitàna“ von Soa Ratsifandrihana, die als deutsche Erstaufführungen bei Tanz im August zu sehen waren.

Berlin, 17/08/2024

Nach dem Start am Donnerstag mit Dorothée Munyanezas „umuko“ macht Tanz im August am Wochenende genau dort weiter, wo es aufgehört hat. Mit „Sea of Silence“ von Tamara Cubas, das auf dem Festival in Avignon Premiere hatte, und „Fampitaha, fampita, fampitàna“ von Soa Ratsifandrihana – beides deutsche Erstaufführungen und Koproduktionen. Letzteres nicht ohne Grund ein kleiner Zungenbrecher. Alle drei verorten sich klar postkolonialen Diskursen, aber mit unterschiedlichen Fokussen.

Salzlandschaft mit Frauen: „Sea of Silence“

Da wäre zunächst das Meer der Stille mit sieben Frauen aus Nigeria, Ägypten, Indonesien, Brasilien, Chile, Mexico und Uruguay im Radialsystem. Sie sprechen Edo, Arabisch, Mapuche, Malayo, Didxazá, Borum, Spanisch. Wobei diese Herkunftsländer hier durchaus Teil des Problems sind, denn diese Frauen identifizieren sich meist eher mit ihren indigenen Wurzeln, leben im Exil. Etwa Noelia Coñuenao, die sich als gebürtige Mapuche in Chile als Terroristin beschimpfen lassen muss und am Ende herausschreit, dass Chile selbst ein terroristischer Stadt sei. Tamara Cubas sucht in „Sea of Silence“ also die doppelte Unterdrückung. Zum einen die Unterdrückung der Frauen, ausgehend von der biblischen Geschichte um Lots Frau, die im Rückblick zur Salzsäule erstarrt. In der Bibel hat sie nicht einmal einen Namen, doch die jüdische Tradition hat sie zu einer Edith werden lassen. 

Die Bühne ist enstprechend mit einer großen Schicht weißen Salzes bedeckt, auf der die sieben Frauen barfuß und zunächst nur mit weißen Leibchen bekleidet zu einer Skulptur erstarrt sind. Oben links hängt eine massive Wurzel über der Bühne. Eine einfache Symbolik. Die Starre bricht auf, eine jede sucht ihren Platz: akustisch, mit Bewegungen, ein kakophonischer Start, der aber bald in eine eigene Ornung fällt, wenn die Frauen aus dem Salz am Bühnenrand eine traditionelle Kleidung ihrer Kultur, bestehend aus Oberkleid, Kopfbedeckung und Schmuck anlegen. Auch sie im rituellen Weiß, aber mit silbernem Gesichtsschmuck, hölzernen Ketten und Ringen oder Fußglocken. Wiegend im imaginären Wind und als ein gemeinsamer Körper ziehen sie über die Bühne. Mal werden die Namen bedrohter indigender Völker in Brasilien im Maschinengewehrtakt in den Zuschauerraum gefeuert, mal berichtet eine von Verhaltensregeln, die zu befolgen seien, mal geht es um Edith und die fehlende Vergangenheit. Derweil zieht der Menschenblock rhytmisch stampfend seine Runde auf der Bühne, ein Akt der Reinigung vielleicht, auf jeden Fall ein am performativen Ritual geschulter Vorgang, wobei zum großen Finale auch die traditionellen Kostüme wieder verschwinden. Das Ganze erinnert bald an das gute alte Agitprop-Theater und wenn am Ende die Kakophonie des Anfangs nun zielgerichtet auf das Publikum gerichtet wird und alle Performerinnen von allen Seiten auf die Sitzenden einschreien, danm ist das Maximum an Empowerment gegen Patriarchat und Unterdrückung durch die Mehrheitsgesellschaft erreicht. Ein starkes Bild, sicher, aber in seiner Schematik durchaus auch erwartbar.

Zungenbrecher aus Madagaskar: „Fampitaha, fampita, fampitàna“

Mehr Tanz und weniger Performance bot der dritte postkoloniale Abend „Fampitaha, fampita, fampitàna“ von Soa Ratsifandrihana. Hier geht es im engeren Sinne um Madagaskar, wobei eher im weiteren Sinne, denn im Fokus steht im HAU 2 die Diasporaerfahrung der vier. Joël Rabesolo sorgt an Gitarre und Drums für den richtigen Sound. Nach einer kurzen Begrüßung beginnen sie ihre musikalisch-tänzerische Expedition in die eigene Identität. Und die ist zunächst eine Mischung aus Voguing und Menuett. Zu gezupften Klängen, die an ein Cembalo erinnern, üben sich Audrey Merilus, Stanley Ollivier und die mittanzende Choreografin Soa Ratsifandrihana in starren abgezirkelten Bewegungen mit langen weißen Handschuhen und seideglänzenden aufgeppufften Klamotten. Mit ernster Ironie werden schließlich noch Schärpen der Trikolore umgebunden, verzerrte Körper im imaginierten Stil am Hofe des 17. Jahrhunderts. Spaßiges Spiel und ernsthafte Auseinandersetzung treffen sich hier aufs Schönste und auch die Werbung für IGNORAL, bei der die drei verzückt zuckend Marshmallows kauen, um eben die Kolonialgeschichte wegzuignorieren. 

Hier zeigt sich ein kleiner Wermutstropfen, denn Übertitel werden nur sehr sparsam eingesetzt, was spätestens gegen Ende, als eine der Tänzerinnen zu einem großen Monolog auf französisch ansetzt, schmerzhafte Verluste bedeutet (zumindest fühlt es sich so an). Der mysteriöse Titel heißt übersetzt übrigens „Vergleich, Weitergabe, Wettstreit“, besticht aber vor allem durch seine lautmalerischen Eigenschaften. Denn auch diese Sind Teil der Performance, wenn die drei französische und englische Zungenbrecher nachsprechen sollen, aber Rabesolo so gründlich scheitert, dass er schließlich mit einem madegassischen Zungenbrecher antwortet und so den Spieß schlicht umdreht. Auch die kolonialen Kostüme von Harilay Rabenjamina sind da längst farbenfrohen zeitgenössischen Klamotten und silbernen Stiefeln gewichen, wobei letztere im Gleichschritt stampfend irgendwo zwischen SA-Märschen und Wakanda-Utopie vor sich hinschillern. Von den drei postkolonialen Positionen ist dies sicherlich die freudvollste, die mit ironischen Augenzwinkern vor allem die eigenen Perspektiven hinterfragt.

Viel Bewegung, aber noch keine Stiche

In der Schau der drei Produktionen zeigt sich die Produktivität von postkolonialen Fragestellungen, die hier in ästhetisch sehr unterschiedliche Positionen übersetzt wurden. Bei allen drei gibt es dramaturgische Parallelen mit der Geburt aus dem Chaos, der historischen Suche nach dem Selbst und schließlich dem abschließenden Befreiungsakt des Selfempowements, wobei hier Munyanezas „umuko“ am stärksten in einem rein ästhetischen Akt bleibt, während Cubas’ „The Sea of Silence“ den Weg des Agitprop und Ratsifandrihanas „FFF“ insgesamt einen eher ironisch-verspielten Ansatz wählt.

Annemie Vanackere, Leiterin des HAU, sprach zum Festivalstart vom Tanz als Hornisse, die um das Pferd tanzt, um es in Bewegung zu halten. Um da im Bild zu bleiben: Bewegung hat es jede Menge, aber so richtig gestochen hat bisher noch nichts. Die Hornisse kreist weiter.

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