Ritual des neuen Mannes
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„To be or not to be – that is the question” – mit diesem legendären Zitat beginnt Dada Masilo ihren „Hamlet”. Es wird gesprochen von dem Schauspieler Aphiwe Dike, barfüßig und im Frack auf einer ansonsten komplett leeren Bühne. Sein tanzendes alter ego folgt sogleich: Leorate Dibatana, ebenfalls im Frack und Dike täuschend ähnlich sehend. Sie bilden den Auftakt zu Dada Masilos Tanzperformance über den unglücklichen Dänenprinzen.
Die Südafrikanerin, bekannt schon von ihren dekonstruktivistischen Versionen von Klassikern wie „Schwanensee“ (2010), „Giselle“ (2017) und „The Sacrifice“ (2021) wagte sich nun an DEN Shakespeare-Klassiker schlechthin. Sie komprimierte die Handlung auf das Allerwesentlichste und kam damit auf ca. 70 Minuten Spielzeit – genau richtig also für das moderne Tanztheater.
Masilo kombiniert elf Tänzer*innen und zwei Schauspieler (neben Aphiwe Dike als Hamlet noch Albert Khoza als Hamlets Mutter Gertrude). Bei den Kostümen zeichnet sie gemeinsam mit Suzette le Sueur für die farbenfrohen Kleider bei den Frauen und Hosen in verschiedenen schwarz-weiß-Mustern für die Männer verantwortlich. Das Konzept ist dadurch, zumal auf der ansonsten völlig leeren Bühne, absolut zeitlos und lässt sich auf jede Spielstätte adaptieren.
Die wichtigsten Handlungsstränge werden im Tanz erzählt, weniger im Wort. Wenn gesprochen wird, dann englisch oder in einem afrikanischen Dialekt. Schon dadurch wird deutlich, dass sich das Drama, das Shakespeares „Hamlet“ aus dem 17. Jahrhundert zugrunde liegt, ohne weiteres auf andere Kontinente und in die heutige Zeit übertragen lässt. Die Probleme sind zeitlos und kennen keine Landesgrenzen. Und selbst wenn man das Stück im Original oder auf Deutsch noch nie gesehen hat, versteht man sofort und intuitiv, worum es geht.
Das liegt auch an den fantastischen drei Musiker*innen, die zu Wort und Tanz einen kongenial wandlungsfähigen Klangteppich aus Kompositionen von Thuthuka Sibisi weben: die Sopranistin Ann Masina, der Geiger Leroy Mapholo und der Percussionist Mpho Motiba, teilweise auch noch stimmlich unterstützt von Albert Khoza.
Ausdrucksstarke Tänze
Wie schon in ihren früheren Stücken findet Dada Masilo, die sich selbst die Rolle der Ophelia auf den zierlichen Körper modelliert hat, dafür eine dynamische, vielfältige Bewegungssprache, die ihre elf grandiosen Tänzer*innen technisch perfekt und ungemein ausdrucksstark umsetzen. Es sind kraftvolle Tänze in der Gruppe und ebenso berührende Soli. Und anders als im Schauspiel, wo Hamlet selbst dominiert, bekommt die Rolle der Ophelia hier ein größeres Gewicht, steht sie im Mittelpunkt des Geschehens.
Dada Masilo zeigt dabei sowohl die Stärke, den Mut und den Zorn dieser Frau, die sich über die Geschehnisse am dänischen Hof echauffiert, wie gleichermaßen ihre Zerbrechlichkeit und Verzweiflung über die eigene Hilflosigkeit. Das gilt ganz besonders für ihr letztes Solo, das sie ganz nackt tanzt, allein und schutzlos zwischen den Leichen des am tödlichen Gift verstorbenen Hofstaats. Masilo legt mit der ihr eigenen Expressivität gerade in dieses Solo alles hinein, wessen sie fähig ist. Am Schluss, wenn sie den Gang ins Wasser symbolisiert, kniet sie am Bühnenrand und schöpft mit den Händen aus einer kleinen Schüssel Wasser, das sie sich über den Kopf gießt, ganz langsam, sehr einsam in ihrer Verlorenheit. Die raffinierte Lichtregie (Suzette le Sueur) strahlt sie dabei sehr reduziert genau so an, dass sich dieses Wasser wie ein silbernes Gespinst um sie herum legt, während das Licht nach und nach verlöscht und der letzte Geigenstrich verklingt. Großartig.
Das Publikum in der leider nur halb verkauften K6 auf Kampnagel applaudierte begeistert und lange – zu Recht.
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