Leitungswechsel
Katharina Christl übernimmt Leitung der Palucca Hochschule Dresden
Die beiden Palucca-Alumni Houston Thomas und Brian Scalini sind als Choreografen inzwischen für die Studierenden der Palucca Hochschule für Tanz Dresden eine sichere Bank. So konnte man schon im Vorfeld sicher sein, dass beide auch dieses Mal mehr als nur solide Arbeiten abliefern würden. Zumal Thomas‘ „Creation #8“ bereits bei der letzten Soiree gezeigt wurde. Die Studierenden des Studienjahres 1 konnten sich also noch mal in eine ihnen schon vertraute Arbeit werfen. Und dass das auch Spaß macht, hat man deutlich sehen können. Als Hommage an das Pixel-Nokia-Handy-Game „Snake“ bewegen sich die Tänzer*innen in einheitlichen Kostümen (Jasmin Schlüter, Martina Drieschner) schrittweise durch den Raum. Je nach Lichteinfall wirken ihre Oberteile mal hell, mal dunkel. Monochrom in Grau gehalten, ganz dem damaligen Display-Standard folgend. Choreografisch stehen dabei die Arme im Mittelpunkt; der gesamte Duktus bleibt fast schon streng aufrecht. Das erfordert eine Präzision in den Bewegungen, denen allesamt beeindruckend gerecht werden.
Gegenseitiges Vertrauen
Präzision hingegen steht für Dafi Altabeb ganz offenbar nicht im Fokus. Die Israelin choreografiert hier erstmals für die Palucca Hochschule und stellt mit „Soon we’ll make lots of love“ die Studierenden des 3. Studienjahres selbst in den Mittelpunkt. Was treibt sie um, als junge Menschen, als Studierende, als diejenigen, die ihre Zukunft noch vor sich haben? Die Tänzer*innen scheinen in ihren Trainingsklamotten zu stecken; locker wärmen sie sich auf, dehnen sich, albern miteinander herum. Ein einzelner Stuhl weckt amüsante Assoziationen zu Pina Bauschs „Café Müller“. Der Alltag von Tänzer*innen eben. Sie denken laut nach, über Gret Palucca, darüber, wie sie ihre Hochschule als alma mater wahrnehmen. Immer wieder beginnen ihre Sätze mit „I lean on ...“. Dieses sich Anlehnen, das Vertrauen, das bildet sich in den Bewegungen ab. Immer wieder lassen sich Einzelne fallen, kündigen ihren Fall an, hoffen auf Stütze. Aufgefangen werden von Freunden, Familie, Hoffnungen.
Dieses Nachdenken findet in einer einzigen Lichtstimmung statt, die im Prinzip keine ist. Licht an, los geht’s. Pavarottis „Brindisi“ aus „La Traviata“ wirkt dafür völlig unpassend und belässt dadurch die Situation dort, wo sie ist: in der Realität. Die Kunst steht dahinter. In diesem Vertrauen auf ein Miteinander entwickeln die Tänzer*innen schließlich Vorstellungen für ihre individuelle Zukunft: „Soon I’ll ...“, heißt es da. Und diese Wünsche und Hoffnungen werden wirklich im Miteinander getragen. Immer gewagter werden die „trust falls“, immer stärker die Verlässlichkeit. Das macht nicht nur gegenseitig Mut. Das ist Mut.
In Einzelteile zerlegt
Deutlich stärker in die Kunst geht der Ansatz Scalinis, der, wie immer, auch hier wieder beeindruckende Kostüme entworfen hat. Für „Bodies Apart“ dominiert die Farbe Rot, die man gar nicht erst weiter zu interpretieren braucht. Die Körperlichkeit des Menschen steckt ja schon im Titel. Dieser Körper, allerdings, ist hier direkt ausgestellt. Und ist es auch wieder nicht. Im Wortsinn: Um eine Art Sockel herum hat sich eine Gruppe Tänzer*innen lose gruppiert. Die Situation einer Ausstellung ist klar. Eine Stimme aus dem Off erläutert, dass es sich um einen seltenen, festgehaltenen Moment handele, der hier ausgestellt sei. In stiller Betrachtung versunken stehen sie da, die „Besucher“, und betrachten: nichts. Zwar meint die Stimme, es handele sich um zwei Hände, die, getrennt von einem Körper, für sich existieren, aber der Sockel ist leer. Als die freundliche Stimme alle bittet, ihren Rundgang fortzusetzen, ist das der Auftakt für den Versuch, diese Leere mit dem eigenen Körper zu füllen.
Im Titel stecken nicht nur die getrennten Körper, da drin steckt auch „part“ als Körperteil. Und um diese Teile geht’s hier. Entsprechend entwickeln Hände, Arme, Füße ein eigenwilliges Eigenleben. Zuckungen, Verdrehungen, gefühlte Verfremdungen. Die Einzelteile gehören ab jetzt nicht mehr zusammen. Das hat eine besondere Lebendigkeit, da werden innere Kämpfe und Krämpfe sichtbar, stumme Schreie. Für den passend verstörenden Sound hat mit Gábor Halász ein weiterer Alumnus gesorgt. Das hat alles etwas rätselhaft Verstörendes; in düsterem Licht suchen die Tänzer*innen scheinbar etwas am Boden.
„Berührend“ in mehrfacher Hinsicht
Diese artifizielle Befremdung verlangt den Beteiligten des Studienjahres 2 jede Menge Kongenialität ab, die sie ohne jede Ausnahme liefern. Diese Defragmentierungen gehen immer weiter, bis alles in eine unerwartete Richtung umkippt. Sanfte Klaviertöne legen eine komplett andere Atmosphäre über diese Kälte, und schließlich ergießt sich die butterweiche Stimme Anohnis wie ein Trost in die Ohren. Wenn eine Tänzerin schließlich versucht, schüchtern und ungelenk die Hand einer Nebenstehenden zu ergreifen, wird sichtbar, wie doppeldeutig das Wort „berührend“ ist. Plötzlich fühlen sich alle „Teile“ wieder wie eins an, komplett und zusammengefügt. Das ist aber noch nicht das Ende. Das verblüfft nämlich noch mal. Und das sollte man gesehen haben. Damit schließt sich ein Kreis der Sinnhaftigkeit, der die unbegrenzte Macht von Kunst mehr als nur deutlich macht.
Man sollte hier keinesfalls erwarten, dass das Leistungsniveau der Älteren durchweg deutlich höher sei als das der weniger Erfahrenen. Alter hat nichts mit Talent zu tun. Die Mischung aber, die machts hier ganz definitiv.
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