„Uninvited“ von Anthony Missen

„Uninvited“ von Anthony Missen

Alles nur ungewollt und ungebeten?

„Uninvited“ von Anthony Missen mit dem Chemnitzer Ballett

Das Chemnitzer Ballett unter Choreograf Anthony Missen reflektieren die Pandemie in diesem berührenden Tanzstück.

Chemnitz, 30/06/2021

Von Peggy Fritzsche

Ohne die kritische Auseinandersetzung mit der Politik, der Gesellschaft oder der Umwelt bringt Anthony Missen eine Choreografie gar nicht erst auf die Bühne. Kulturelle Bildung, Tanzvermittlung, Inklusionsprojekte für Kinder: Wenn es jemand vermag, Nachhaltigkeit und Anspruch in bewegenden Momenten zu vereinen, dann ist es dieser Mann. Jetzt entwickelte er erneut mit der Kompanie des Chemnitzer Balletts einen Tanzabend. Er spiegelt darin die Gegenwart mit Gänsehautfaktor – Auslegung offen.

Die Welt ist im Ausnahmezustand. Wir sehen Bilder von Toten und Bilder von Tobenden. Wir erleben Menschen, die sich abschotten und Menschen, die hinausdrängen. Wir bemerken Sorgenvolle, Seuchenbetroffene, Schutzsuchende – Leugner, Lügner, Lärmende. Und Klopapierhamsterer. Wir suchen Nähe und halten Abstand. Wir ersehnen Mimik und Mitgefühl. Doch wir sehen Masken. Von Stoff geschützt, von Schock geprägt. Die Welt in der Pandemie. Hier hinein pflanzt Anthony Missen seine Choreografie „Uninvited“. Der Begriff steht für uneingeladen. Für ungebeten. Und auch für ungewollt.

Seine neueste Chemnitzer Choreografie entwickelte Anthony Missen für drei Damen und drei Herren. Er schmeißt seine Tänzer*innen in eine Atmosphäre des Ungewissen, der aufgesetzten Nähe und erzwungenen Zurückweisung. Sie rücken sich erst auf die Pelle. Sie stoßen dann einander weg. Sie verschmelzen in popmusikalischer Teenie-Gruppendynamik. Sie grenzen das Individuum aus. So ein Plot macht Wut auf den Menschen – was sind wir nur für Typen? Egoisten, Ellenbogler, eitle Fatzkes! Und doch tilgt Anthony Missen Zorn und Gram. Denn der Ablehnung der Berührung, setzt er die Kraft der Berührtheit entgegen. Wegstoßen kann man nur denjenigen, der sich zunächst einmal nähert. Verschließen kann man sich nur gegenüber den Menschen, die sich einem öffnen. Abweisen kann man nur diejenigen, die auf einen zukommen. Und so sind es die Bilder des Zugehens, des Anbietens, des aufeinander aufmerksam Machens, die nach 60 Minuten im Bewusstsein bleiben – Momente der Nähe in Zeiten des Abstandes.

60 Minuten Hochleistung, Kraftakt, Knochenschinderei und Schweißarbeit zeigen die sechs Tänzer*innen der Chemnitzer Kompanie am Premierenabend. Einer tanzt sich die Füße blutig. Die athletischen Leistungen sind atemberaubend. Auch wenn es nicht zu sehen ist. Denn im Moment des Tanzes verraten Bewegungsliebe, Emotionen und Hingabe die wahre Körpersprache.

„Uninvited“, uneingeladen, war Anthony Missen in Chemnitz noch nie. Wird er nie sein. Einzig die Pandemie verschloss ihm den direkten Weg zur Kompanie. Missen kam nicht auf den Kontinent. Die Choreografie studierte er mit den Chemnitzern also digital ein. Nicht mal zu Premiere durfte er dabei sein – denn da herrschte Delta-Alarm auf seiner Insel. So galt es quasi online Ansporn und Wege zu finden, um Choreografie und Tanz entstehen zu lassen. Digital, das kann so vieles sein. Digitales verkürzt Wege und spart Zeit. Digitales öffnet aber auch Raum für Ablehnung, ist technisierte Unmenschlichkeit. Man müsse nachdenken, sagt Anthony Missen, „auch über das, was wir uns gegenseitig aufbürden – wie unerwünschte Berührungen, kalte Worte, Beschimpfungen, Fremdenfeindlichkeit, Vorverurteilung und auf individueller Ebene die Kämpfe im eigenen Inneren mit den vielen uneingeladenen Gedankengängen, Ängsten und ständigen Befürchtungen in unserer menschlichen Komplexbehaftung“.

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