Probe mit Marcia
Intime Einblicke beim „Training zum Zuschauen“ mit Marcia Haydée beim Staatsballett Berlin
von Richard Wherlock, im Ludiwgsburger Forum-Theater
An der Rampe stehen lebensgroße Kühe, vor ihnen tummelt sich ländliches Getier, rechts und links sind Hühnerställe, den Hintergrund ziert eine Bergkette – es sieht entzückend aus. Und entzückend geht es auch weiter. Mädchen und Burschen treten herbei, führen die Kühe auf den Hof, bugsieren sie in ihre Boxen, von wo aus sie Richard Wherlocks „La fille mal gardée“ verfolgen, mit der das Ballett der Komischen Oper Berlin die Tanzforum-Saison des Ludwigsburger Kulturamts beendet hat.
Der englische Choreograf, seit dieser Spielzeit Chef der ersten funktionierenden Abteilung des unter schweren Geburtswehen leidenden „BerlinBallett“, feiert mit seiner modernen Version dieses Klassikers wahre Triumphe. Sie ist ja auch heiter und beschwingt, geizt nicht mit flotten Tänzen, noch weniger mit Klamauk, ist von Reinhard Heinrich mit bunten Kostümen beschenkt, von Franck Evin stimmungsvoll, wenn auch etwas hektisch, beleuchtet worden, und Erich Fischers Bühnenbild ist, wie gesagt, entzückend. Wherlock lässt auf „halber Spitze“ tanzen, sein Bewegungsvokabular setzt sich aus klassischen und modernen Elementen zusammen, mit einem kräftigen Schuss Mats Ek, und wenn er pantomimisch wird, dann schauen seine Tänzer wie Signalgasten aus.
Hier liegt das Problem. Bei all der Gestikuliererei ist kaum auszumachen, ob Wherlock die Geschichte von Lise und Colas, die gegen den Willen von Lises Mutter ein Paar werden, verändert hat oder nicht. Meistens wird drauflos getanzt, ohne dass ein Fortgang der Handlung zu erkennen ist. Einen dramatischen Spannungsbogen gibt es schon gar nicht. Der Choreograf hat das wohl erkannt und sein Ballett deshalb mit allerlei Klamauk aufgemöbelt, vor allem scheppernden Milchkannen und Herumgebrülle. Seltsam auch, dass Wherlock oft die Angebote von Louis Hérolds tanzvernarrter Musik missachtet, etwa, wenn sie einen Sprung signalisiert, die Tänzer zu Boden stürzen lässt. Aber es gibt auch so viele schöne Szenen, liebenswürdige Pas de deux, knackige Ensembles, die beim Orkan herumfliegenden Kühe, wie das Jungvolk interessiert guckt, wenn Lise von der Mutter zusammengestaucht wird, das Schweineklauen, wie die Mädchen „huch“ rufen, wenn die Burschen den Kühen an die Euter fassen.
Lucila Alves erfüllt die Titelpartie mit hinreißend kratzbürstigem Charme, Bruno Guilloré ist ein robuster, kraftvoller Colas, Uwe Küstners Vater ein herrlich pomadiger Stadtschnösel. In Wherlocks Fassung wird die Simone nicht „en travestie“ getanzt, was Ann De Vos zwar Gelegenheit gibt, eine seriöse, beinahe tragische Mutter zu sein, aber es verhindert den beliebten Holzschuhtanz, der sich als Reverenz an Frederick Ashton ausgezeichnet gemacht hätte. Wie die Solisten, so zeigt sich das bestens trainierte Corps in blendender Form. Gregor Seyffert als Alain: Wherlock hat sich leider von den Fähigkeiten dieses Ausnahmetänzers dazu verleiten lassen, die Rolle in einen equilibristischen, völlig durchgeknallten Freak umzumodeln. Wann immer dieser Robert Kreis des Tanzes seine haarsträubenden technischen Kunststückchen lospfeffert, dann bricht das Stück auseinander. Alles in allem aber ein schöner Abend, der freilich gezeigt hat, dass Frederick Ashtons „Fille“, die am 12. Mai ins Stuttgarter Repertoire übernommen wird, unübertrefflich ist und es wohl auch bleiben wird.
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