Balanchines Muse gestorben
Primaballerina Maria Tallchief im Alter von 88 Jahren verschieden
Gottlob nicht noch ein Bach, sondern Schubert! Sohn einer berühmten lettischen Tänzerfamilie, hat Andris Plucis, seit 1998/99 Ballettchef in Ulm, für seinen zweiten Abend der Saison im Forum des Ulmer Theaters – einer sechseckigen Bühne mit variabler Publikumsanordnung – Schuberts letzte große Klaviersonate B-Dur, D 960, an den Anfang gestellt, der nach der Pause dreißig Deutsche Tänze, Ländler, aus verschiedenen Schubert-Werkgruppen folgen – alles live gespielt von Hannes Kalbrecht. Angekündigt für spätere Abende sind die beiden weiteren Klaviersonaten mit dem Ziel einer Schubert-Trilogie.
Eine wichtige Rolle spielt die Raumgestaltung von Jürgen Nase. Im ersten Teil gibt es vier Stellwände, die die Tanzfläche in zwei Teile gliedern, mit schmalen Schlitzen, durch die das Publikum, das sich gegenüber sitzt, nur ausschnittsweise mitbekommt, was auf der anderen Seite tänzerisch vor sich geht: Ich sehe was, was Du nicht siehst!
Im zweiten Teil ist die Tanzfläche offen einsehbar – zwischen zwei Stellwänden, die sich aufeinander zu bewegen und so den Raum einengen. Hatte Plucis in seinem vorausgegangenen Ballett „Haydn schaut“ noch den Komponisten höchstpersönlich auf die Bühne gebracht, so hat er diesmal von jedem biografischen Schubert-Bezug abgesehen, will ihn auch nicht „interpretieren“ und schon gar nicht die Notenvorlage in Tanz umwandeln – aber was will er dann? Die Absicht ist, „Stimmungen und Strömungen dieser großen Musik zu erfassen und sie in einen eigenen choreografischen Ablauf umsetzen“. Der aber verliert sich in der „Sonate“ im Beiläufigen, Beliebigen, Austauschbaren – und lenkt eher von der Musik ab, als dass er das Gehör für deren Inhalt schärft.
In jenem heute üblichen globalen Modern-Klassisch-Mix choreografiert Plucis für seine elf sehr heterogenen Tänzer durchaus flüssige Arrangements, die aber keine Identität gewinnen und mit ihren vielen Bodenmotionen ausgesprochen forciert wirken. Mehr Glück hat er mit den „Deutschen“. Das sind rasch vorüberhuschende Skizzen, sich abwechselnde Soli und Pas de deux, die verschiedene Stimmungsinhalte kommunizieren. Sie sind ganz auf die unterschiedlichen physischen und temperamentsbedingten Individualitäten der Tänzer abgestimmt – Moments dansants sozusagen, die ihnen reichlich, von ihnen begierig aufgegriffene Gelegenheiten bieten, sich zu profilieren – als Tänzerpersönlichkeiten eher denn als Ulmer Tänzerkollektiv.
So bereitet mir die angekündigte (angedrohte) Schubert-Sonaten-Trilogie erhebliche Skrupel – eben wegen ihrer musikalischen Schwerlastigkeit. Dabei haben Haydn, Mozart, sogar auch Beethoven, von Schubert einmal ganz abgesehen, so viel zu Tanz einladendere Musik geschrieben. Nicht zufällig hat Balanchine nach der Wanderer-Fantasie von 1933 („L´Errante“) kein einziges weiteres Ballett zu Musik von Schubert choreografiert!
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