Menschliche Planeten - ihre Endlichkeit schon im Blick
Die Uraufführung von Micha Puruckers „episodes of glam + gutter“ im Münchner Schwere Reiter
Nach tausend Jahren Erziehung, heißt es, könne der Mensch die Maschine in sich aushalten. Hat er gelernt – in der Regel jedenfalls –, seinen Körper zu disziplinieren. „Formungsphasen“ nennt man das in der Rekrutenausbildung. Das Kind am Tisch festschnallen, damit es „richtig“ essen lernt – die Pädagogik war auch einmal ganz groß darin, den Körper zu formen. Der Rest folgt dann schon. Nur wohin? In Micha Puruckers neuer Installation „Organic Display“ laufen auf dem Screen Bilder übler Zurichtungsmethoden die von Menschen, die Straßen kreuzen, ohne überfahren zu werden. Es folgen Bilder einer kunstvollen Automatenpuppe, deren Augen über den Satz gleiten, den sie gerade mit leicht stockender Hand aufs Papier geschrieben hat: Cogito ergo sum.
Wirklich? Ist es so, dass im Wesentlichen das Gehirn den Menschen ausmacht? Die Diskussion darüber ist nicht neu, aber nach wie vor dringlich. Und es ist nicht verwunderlich, dass Tänzer und Choreografen schon von Berufs wegen dafür offen sind und der Körper als kulturelles Konstrukt ein Thema bietet, an dem sich viele abarbeiten, wie Jérôme Bel oder Xavier Le Roy, um nur die beiden herausragenden Körperforscher zu nennen.
Knapp zwei Dutzend Theoriediskurse stemmt der Münchner Choreograph in „Organic Display“, einer „Lecture für 2 und mehrere Stimmen“, die in Zusammenarbeit mit dem Luzerner Theater entstanden und nun im i-camp zu erleben ist. Er blendet sie übereinander, flankiert sie mit zwei Tänzerinnen (Jin-Yeob Cha, Monica Gomis) und einem Tänzer (Stephan Herwig), die in ihren Bewegungen verschiedene Körperbilder zeugen und wieder verwischen, stellt alles in einen hellen Raum und macht eine theatrale Situation daraus. Zu verkopft?
Nein, denn Purucker wendet einen verblüffend simplen Trick an, der erstaunlich gut funktioniert: Nach ein paar Minuten werden die am Rand auf niedrigen Bänken sitzenden Zuschauer gebeten, Schlafmasken aufzusetzen. Nicht um – wie früher bei VA Wölfl und Wanda Golonka – durch Ausschaltung eines Sinnes die anderen für neue Wahrnehmungsweisen zu schärfen, sondern um die fluktuierenden Diskurse, die aus dem Off kommen und live von Johanna Fuchs und Sebastian Krawczynski (nicht beiläufig genug) gesprochen werden, im eigenen Körper zu bündeln. Denn der meldet sich mit Zipperlein zu Wort, wird auf einmal präsent und bildet den Resonanzboden, den Referenten für die Konstrukte, über die gesprochen wird: Definition der Muskeln beim Bodybuilder und der des Lebens beim Hirntoten. Wenn die Masken wieder abgenommen werden, ertönt angenehme Musik, man streckt die Glieder und kann der Frage nachhängen: „Welches Schicksal will der Mensch, und warum will er es?“
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