Die Ministerin sollte den Ballettdirektor ernennen
Gerhard Brunner über die Ballett-Situation in Wien
Bekannt wurde der 1939 in Kärnten geborene Gerhard Brunner als Musikjournalist bei mehreren österreichischen und deutschen Publikationen. Nachdem er schon vorher als Ballettberater des Intendanten der Wiener Festwochen tätig war, überraschte dann seine Berufung als Ballettdirektor der Wiener Staatsoper, bei der er von 1976 bis 1990 tätig war – eine Zeit, in der er sich gegen den massiven Widerstand einer Tänzerfront des Hauses durchsetzte und zahlreiche bedeutende Choreografen und Tänzer nach Wien holte (auch Nurejew, der freilich schon zu Milloss´ Zeit in Wien gastiert hatte, aber dem Brunner zu seiner österreichischen Staatsbürgerschaft verhalf – und Baryschnikow).
Unzweifelhaft hat das Wiener Staatsopernballett unter seiner Leitung an internationalem Renommee gewonnen – und die Wiener Tanzszene insgesamt durch seine vielseitigen Aktivitäten als Gründer und Organisator der Wiener Tanzbiennale, als er seit 1982 praktisch alle interessanten Kompanien der Welt nach Wien holte: ein Wiener Ballettmann, ein Tanz-Ermöglicher, quasi in der Diaghilew-Nachfolge.
Die nächste Überraschung folgte, als er 1990 zum Intendanten der Bühnen Graz gekürt wurde, wo er für Oper (nebst Operette und Musical), Schauspiel, Ballett und Jugendtheater zuständig war. Auch dort hatte er anfangs gegen erhebliche Schwierigkeiten zu kämpfen, sowohl beim Publikum als auch bei der Presse, die er aber allmählich abbauen konnte – vor allem als Propagandist eines dezidiert zeitgenössischen Musiktheaters, als der er in Peter Konwitschny (und später auch in Martin Kušej) einen Regisseur entdeckte, mit dem er weit über Graz hinaus wirkende, maßstabbildende Operninszenierungen realisierte.
So wuchs Graz allmählich in die Rolle eines österreichischen Außenposten progressiven Musiktheaters hinein, gipfelnd in den Konwitschny-Inszenierungen der Verdi-Trias „Macbeth“, „Aida“ und „Falstaff“, die jetzt gebündelt an den drei letzten Abenden der Grazer Intendanten-Ära Gerhard Brunner standen – bewundert mehr im Ausland als im Inland als Modelle eines dezidiert zeitgenössischen Musiktheaters, die Verdi als unseren Zeitgenossen reklamiert. Es waren wirklich drei hervorragende, außerordentlich spannende, musikalisch hochstehende Vorstellungen, ein glänzendes Zeugnis für Brunner und die Arbeit seines Teams, an erster Stelle seiner Zusammenarbeit mit Konwitschny, der heute unbestritten der führende deutsche Opernregisseur ist.
Entsprechend hochgestimmt fielen die Dankesreden beim abschließenden Empfang aus – auch die von Brunner an die Politiker und seine Mitarbeiter, in der er auch seine Defizite freimütig bekannte – das, was er nicht erreicht und durchgesetzt hatte. Dabei fehlte indessen auch der leiseste Hinweis auf das Grazer Ballett, das in der Spielzeit-Statistik für 1999/2000 immerhin mit 24 Tänzern und 22 Vorstellungen ausgewiesen ist. Allerdings hatte man außerhalb von Graz von der Existenz eines Grazer Opernballetts während der elf Brunner-Spielzeiten nur ausnahmsweise gehört. Umso überraschender war die 1998 erfolgte Berufung Brunners als Projektbeauftragter für das Berlin Ballett, das wir aber wohl endgültig abzuschreiben haben.
Seit Frühjahr 2001 fungiert er nun als Koordinator der drei verschiedenen Opernballette in Berlin, seither vergeblich auf seine offizielle Bestallung hoffend, die Mal um Mal herausgeschoben wird: die üblichen Berliner kulturpolitischen Querelen – und das ist nicht gut so! Für Brunner, der als Österreicher in Berlin „balkanische Zustände“ beklagt (und in Analogie dazu findet, dass Wien immer preußischer wird), wird es nun ziemlich eng. Sein Grazer Engagement ist beendet, in Berlin schwebt er in der Luft – und mit ihm die Berliner Ballett-Situation. Immerhin könnte sich die Verpflichtung von Bianca Li als Chefin des neuen Balletts an der Komischen Oper als Coup erweisen – das ist eine Frau, die zu einer Kultfigur einer alternativen Berliner Tanzszene werden könnte.
Dafür absolviert die Deutsche Oper weiter ihre Hängepartie unter Sylviane Bayard, kauft andernorts Angejahrtes (hoffentlich zum halben Originalpreis) ein und hofft auf Kevin O´Day, der Gott sei Dank zu klug ist, sich auf vage Versprechungen einzulassen. Und die Staatsoper mümmelt mit Patrice Bart und seinen Nurejew-Memorabilia vor sich hin und träumt von Vladimir Malakhov als Messias. Ausgerechnet von ihm, mit den altrussischen Ballettgenen in seinem begnadeten Tänzerkörper (und seinem korrespondierenden Gehirn)! Da kann man wirklich nur auf Gott vertrauen und Peter Konwitschny beim Wort nehmen, der in seiner Huldigungsadresse an Brunner erklärte: „Also wenn Gerhard Brunner in Berlin Ballettintendant wird, werde ich Choreograf!“ Aussichten sind das!
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