Gerhard Brunner: Abschied von Berlin

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Stuttgart, 27/12/2002

Hatte er das nötig? Erfolgreicher, international renommierter Kulturjournalist. Erfolgreicher Ballettdirektor der sehr schwierigen Wiener Staatsoper, als der er kontinuierlich mit Nurejew, Balanchine und van Manen zusammengearbeitet hat (um nur die prominentesten der von ihm verpflichteten Choreografen zu nennen). Erfolgreicher Leiter der Wiener Tanz-Biennale, der die führenden Kompanien der Welt in die Donaumetropole geholt hat. Über ein Jahrzehnt erfolgreicher Intendant der Grazer Bühnen, die unter seiner Direktion 2001 zum Opernhaus des Jahres avancierten.

Musste er sich in das kulturpolitische Schlangennest Berlin begeben, als Ballettbeauftragter des Senats, mit der Vorgabe, die chaotischen Ballettverhältnisse an den drei Opernhäusern neu zu ordnen? Fünf Jahre lang hat er beraten, empfohlen, Vorschläge unterbreitet, Arbeitspapiere konzipiert, renommierte Persönlichkeiten nach Berlin geholt, hat er sich bei den Tänzern gründlich unbeliebt gemacht, ist er in der ganzen Welt herumgereist und hat für Berlin geworben. Zum Jahresende läuft sein Vertrag mit dem Berliner Senat aus. Heute gibt er zu, gescheitert zu sein. Wie vor ihm nicht weniger als vier Kultursenatoren (und, wie sich schon jetzt abzeichnet, nach ihm wohl bald der fünfte).

Nötig hatte er es gewiss nicht, sich auf das Berliner Abenteuer einzulassen. Er hat den Job wohl als neue Herausforderung empfunden, und sicher, wenn irgendeinem im deutschsprachigen Theaterbereich, so war ihm zuzutrauen, die ständig geforderten Strukturreformen durchzuführen. Nicht eine einzige andere Persönlichkeit unter unseren Theaterleuten, kein Intendant, kein Kulturmanager und schon gar kein Ballettchef verfügt über seine internationalen Kontakte und Erfahrungen auf dem Gebiet des Musiktheaters.

Wenn Gerhard Brunner in Berlin an der Schrebergärten-Mentalität der Politiker gescheitert ist, muss man auch konstatieren, dass Berlin an Gerhard Brunner, seinen Ambitionen und Zielvorstellungen gescheitert ist: Brunner war offenbar eine Nummer zu groß für Berlin! Er kann diesen Abschied mit Fassung tragen, denn auf ihn wartet bereits eine neue Aufgabe – in Zürich, aber nicht im Ballett. Was nur beweist, dass er Furcht nicht zu kennen scheint. Denn dass Zürich kein leichtes Pflaster ist, dürfte jedem spätestens mit der Affäre Marthaler klargeworden sein.

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