Alonzo King's Lines Ballet - Scottish Dance Theatre - Upside Down Dotheatre

auf der Internationalen Tanzmesse NRW

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Düsseldorf, 30/08/2002

Dritter Tag der auf Hochtouren laufenden Internationalen Tanzmesse NRW. Am Abend vier Kompanien zur Auswahl: Alonzo King‘s Lines Ballet aus San Francisco, Mitouru Sasaki und Jennifer Blose aus Wuppertal, das Scottish Dance Theatre und zu mitternächtlicher Stunde das Upside Down Dotheatre aus St. Petersburg.

Ich entscheide mich für King, die Schotten und die Russen. Dreimal volle Häuser und ein aufgeschlossenes, beifallsfreudiges Publikum, das allerdings den Russen schon bald die Gefolgschaft aufkündigt und in Scharen den Saal verließ. Alle drei haben sehr verschiedene Vorstellungen davon, was sie bei sich zu Hause unter modernem Tanztheater verstehen. Gemeinsam ist allen dreien, dass ihre Stücke durchweg zu lang geraten sind – das der Russen für Mitteleuropäer entschieden über die Toleranzgrenze hinaus. Gleichwohl hätte ich keine der drei Truppen missen mögen.

Die Schotten, vier plus vier, tanzen zwei Stücke: „Inside Somewhere“ von Sean Feldman und „High Land“ von ihrer Chefin Janet Smith. Sie tanzen mit burschikoser, manchmal ziemlich schnoddriger Nonchalance – immer barfuß natürlich, wenn sie nicht gerade Stiefel tragen – im ersten Werk angeblich Chagall-inspiriert, aber nach dem habe ich vergeblich gefahndet (Chagall in the Highlands?) – im zweiten sehr schottisch, mit einer Menge humoristischer Happenings, wobei sie sich selbst gern auf die Schippe nehmen – so gleich am Anfang ein einzelner Tänzer im partnerschaftlichen Dialog mit einem grünstichigen Monster, in dem ich Nessie aus Loch Ness zu erkennen glaubte. Hübsch und harmlos.

Diese Russen, sie beginnen mit einer mitternächtlichen Séance à la Frankenstein und berufen sich dabei auf Rembrandts Anatomie des Dr. Tulip? (wie weiland Glen Tetley beim NDT). Laut ihrer Definition verstehen sie sich als experimentelles Körpertheater – mit viel nacktem Fleisch und Brutalität, Pantomime, Grand Guignol, Slapstick, scheuen auch vor Ekeleien à la Kresnik nicht zurück – lauter Monstren, sehr russisch (jene Abgründe der russischen Seele, aus der Prokofjews „Chout“ und Schostakowitschs „Nase“ stammen).

Schade, dass sie so wenig tanzen – denn das können sie in imponierender Weise, wie sie in einer hingeknallten Charleston-Parodie aus „Hello Dolly“ beweisen – die beiden Männer Evgeny Kozlov (Direktor, Choreograf und Darsteller in Personalunion) und Alexander Bondarev ebenso wie die vor keiner grotesken Entstellung zurückschreckende Irina Koslova, die man sich als eine russische Verwandte von Fellinis Gelsomina vorzustellen hat. Abstoßend, aber faszinierend! Ebenso unergründlich wie die Russen (für uns Mitteleuropäer) nun einmal sind.

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