„American Masters“ beim Stuttgarter Ballett

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Stuttgart, 28/03/2002

Das neueste Programm des Stuttgarter Balletts bündelt unter dem Titel „American Masters“ drei Werke amerikanischer Choreografen: George Balanchines „Symphony in C“ (1947, einstudiert von Colleen Neary), Jerome Robbins' „The Concert“ (1956, Jean-Pierre Fröhlich) und Glen Tetleys „Pierrot lunaire“ (1962, Tetley und Bronwen Curry). Drei Meisterwerke also aus den Pionierjahren des amerikanischen Balletts – zwei davon bereits als Zweiteinstudierungen beim Stuttgarter Ballett: „Pierrot lunaire“ (zuerst 1975) und „Symphony in C“ (1976) – während der kurzlebigen Stuttgarter Tetley-Ära, der am Schluss von „Pierrot“ sichtlich erfreut den Beifall des Publikums quittierte, nachdem es während seiner hiesigen Tätigkeit wiederholt heftige Proteste gegeben hatte und sein Abschied ja keineswegs in freundlichem Einvernehmen erfolgt war.

Das nenne ich eine intelligente Programmgestaltung – die Reihenfolge der Werke kontrastreich und perfekt, allerdings total retrospektiv: für die Choreografen wie für die Kompanie. Sie müsste in nächster Zeit kompensiert werden durch ein Programm „American Masters II“, in dem von Anthony Tudor (eine längst überfällige Stuttgarter Nachhollektion) via Twyla Tharp die Linie aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart zu – sagen wir: Mark Morris – fortgeführt werden sollte (es muss ja nicht unbedingt Peter Martins sein).

Balanchine litt unter mangelnder Einstudierungspräzision (lasche Attacke, unbefriedigende Linienharmonie), ließ den kristallinischen Zuschliff vermissen. Gute Solisten (Alicia Amatriain – vom Wuchs her eine legitime Balanchine-Ballerina) mit Robert Tewsley im ersten Satz, Bridget Breiner und Roland Vogel im zweiten, Sue Jin Kang und der exzellente Jason Reilly im dritten, Elena Tentschikowa und Ibrahim Önal im vierten – dazu adäquate Akkompagnisten und das durchaus angemessene Corps – aber es fehlten Glanz und Eleganz – auch im Orchesterakkompagnement unter der Leitung von James Tuggle. Ich bin überzeugt: München hätte das Ballett mit mehr weltstädtischem Schick getanzt.

Dann also „Pierrot lunaire“ – ganz anders als anno 1975, auch musikalisch eine Präzisionsdarstellung, Kammermusik vom Feinsten, mit Salome Kammer (die war die Hauptdarstellerin in Edgar Reitzens TV-Epos „Die zweite Heimat“) als imponierend ausdrucksreicher Gesangssprecherin. Hier wird der Identitätswandel der Stuttgarter ganz deutlich. Während sich früher Egon Madsen, Marcia Haydée und Richard Cragun mit voller dramatischer Emphase in die drei Rollen dieser Commedia dell‘arte-Dreierbeziehung stürzten und sich die Kategorisierung des zu Grunde liegenden Gedichtzyklus von Giraud und Hartleben als „Dreimal sieben Pantomimen“ zu eigen machten, verschlanken heute Robert Tewsley, Bridget Breiner und Jason Reilly die Rollenvorbilder zu tänzerischen Abstraktionen. Tanzten MHC Tetleys „Pierrot“ wie ein hochexpressionistisches Drama von Kokoschka, so führen es heute TBR wie eine Silberstiftzeichnung von Paul Klee aus – tänzerisch eher knackiger, trockener, theatralisch freilich entschieden weniger packend. Man könnte auch sagen verfremdet à la Brecht.

Und zum Schluss als deutsche Erstaufführung „The Concert“, Robbins´ Chopin-Groteske, musikalisch aufgemotzt nach texanischer Rodeo-Methode von Hershey Kay (das ist der Komponist der „Western Symphony“), mit Glenn Prince als Hypnotiseur dieser Chopin-Träume und Albträume am Flügel auf der Szene. Wehe wenn sie losgelassen, die Phantasie der Zuhörer nämlich oder Chopin goes Crazywood!

Ich muss gestehen, dass ich früher schon lauter gelacht habe, aber vielleicht bin ich ja inzwischen zu alt, um an dieser Art von Slapstick-Choreografie noch sonderliches Vergnügen zu haben (auch im Fernsehen können mir diese Comedy-Typen gestohlen bleiben) – amüsiert hat's mich stellenweise auch heute noch. Besonders weil ich mir bewusst war, welchen Spaß die Tänzer an diesem Rollenfutter haben – und ich will immer die Tänzer und das Publikum glücklich wissen – besonders Robert Conn als der spießbürgerlich-nöliger Ehemann der altjüngferlichen Oihane Herrero, die er so liebend gern ermorden möchte, um schließlich selbst Opfer seiner Heimtücke zu werden – köstlich aber auch Sue Jin Kang als verschrobene Hut-Fetischistin nebst allen anderen an die zwanzig Beteiligten. Das Stuttgarter Ballett in komödiantischer Hochlaune, und man weiß ja, als Vollbluttheatraliker gehören die Stuttgarter zur absoluten Spitzenklasse.

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