Menschen, Schwäne, Sensationen

Die "Aktion Weihnachten" des Stuttgarter Balletts

Stuttgart, 08/12/2002

Alle Jahre wieder stellt sich das Stuttgarter Ballett gemeinsam mit der John-Cranko-Schule für einen Abend der vorweihnachtlichen Benefiz-Aktion der „Stuttgarter Nachrichten“ zur Verfügung. Meist zieht diese begehrte Mini-Gala auf Grund ihrer moderaten Preisen ein etwas anderes, breiter gestreutes Publikum an als die üblichen Ballettzuschauer, aber selbst dieses vermeintlich weniger fachkundige Auditorium bewies bei seinem großzügig verteilten Applaus immer wieder erstaunliche Detailkenntnis – eigentlich kein Wunder in einer Stadt, in der die beste Auslastung weder das Opernhaus des Jahres noch das Schauspiel und nicht einmal die beiden Großmusicals haben, sondern über Jahre hinweg das Ballett.

Neben Ausschnitten aus dem Repertoire – Yseult Lendvai und Mikhail Kaniskin zelebrierten den Pas de deux aus „Les Sylphides“, Bridget Breiner und Roland Vogel übten noch für die „Schwanensee“-Wiederaufnahme an Weihnachten – gab es Gala-Bonbons wie Dimitrij Simkins schönen Pas de deux „Fading“ und ein Wiedersehen mit dem schmerzlich vermissten Eric Gauthier in seinem Solo „Les Bourgeois“ zu bewundern. Und immerhin drei interessante Stuttgart-Debüts. Den fetzigen Pas de deux aus William Forsythes „In the middle, somewhat elevated“, eine Art Gala-Pièce der Moderne, hatten Alicia Amatriain und Friedemann Vogel schon beim Erik-Bruhn-Wettbewerb in Kanada getanzt, wo Vogel den Preis als bester Tänzer gewonnen hatte. Amatriains ständiges Überdehnen ist hier nicht ganz so fehl am Platz wie in den klassischen Werken, sieht aber dennoch manchmal wie die reine Akrobatik aus. Noch immer besteht jeder Auftritt der jungen Solistin mehr aus dem Vorführen ihrer unglaublichen Biegsamkeit und viel zu wenig aus deren künstlerischer Kontrolle. Friedemann Vogel dagegen war endlich einmal cool, relaxed und völlig souverän, wirkte nicht so angespannt und ehrgeizig wie in den Klassikern – vielleicht täten ihm mehr moderne Werke gut.

Jason Reilly tanzte neben Sue Jin Kang zum ersten Mal den Balkon-Pas-de-deux aus „Romeo und Julia“ und absolvierte, wie zu erwarten war, die Sprünge und Hebungen mit kinderleichter Mühelosigkeit. Stand noch bei seinem Basilio in „Don Quijote“ zu befürchten, dass er neben der beeindruckenden Technik und der ungekünstelten Klarheit seines Tanzes nur einen einzigen Gesichtsausdruck besitzt, spielte er jetzt natürlich und zurückhaltend und ließ das unfehlbare Gespür erahnen, mit dem Crankos Schritte aus der Musik heraus beseelt und motiviert sein müssen. Das war kein hoffnungsvolles Debüt, sondern ein festes Versprechen auf die Zukunft. Langsam weiß man bei Reid Andersons erlesener Herrenriege wirklich nicht mehr, wo man zuerst hinschauen soll.

Und der Nachwuchs steht schon in den Startlöchern: die Akademie A der Cranko-Schule schickte eine Charme-Offensive namens Ulian Topor auf die Bühne, einen feingliedrigen Moldawier mit reiner, klassischer Linie, einen Ballett-Musketier wie aus dem Hollywood-Film. Ein schmalbrüstiger Bengel aus der Akademie B legte in seinem „Corsaire“-Solo eine Drehung hin, die selbst Kirov-Solisten vor Neid erblassen lassen dürfte (die elegant verzögerte Pirouette scheint derzeit die Spezialität der Cranko-Schule zu sein). Bei Andrey Pisaryevs explosiver Tanzlust sehen wir huldvoll darüber hinweg, dass der Überschlag am Schluss nicht unbedingt zur russischen Tradition gehört.

Einen bereits sehr persönlichen Stil bewies mit ihren porzellanzarten Armen die außergewöhnliche Vanja Vitman, Rachele Buriassi wirbelte als leichtfüßige und freche Kitri zum eher schmerzhaften Klavierspiel von Natalia Belouguina über die Bühne. Hyo-Jung Kang und Demis Volpi brillierten als müde Tango-Tänzer in Rolando d'Alesios tragikomischem Pas de deux „Come neve al sole“.

Eine hübsche Idee war der irische Riverdance für die Kleinen, extrem langweilig das Stück „Begegnung!?“ von Stéphane Fléchet. Der eigentliche Knüller aber hatte gleich am Beginn des Abends gestanden: in einem blitzsauber dargebotenen Ausschnitt aus Prokofjews „Symphonie Classique“ zeigten die völlig unisono tanzenden Akademie-Schüler, wie sich unter Tadeusz Matacz das Niveau der John-Cranko-Schule stetig verbessert.

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