Dinner for two

Tanz Companie Lübeck

Lübeck, 16/11/2002

Da sitzen sich zwei Männer an der gedeckten Tafel gegenüber, gekleidet im eleganten Cut. Sehr gesittet beginnt das Mahl in „Dinner for two“, eingebaut eine kleine Irritation: Beide Tänzer sind barfuß. Dann läuft das Geschehen mehr und mehr aus dem Ruder, wird die Mahlzeit zersetzt. Im Schuppen 6 – links die Trave, rechts eine Hauptverkehrsstraße – entwickelt Choreographin Juliane Rößler (Leiterin der Tanz Companie Lübeck, TCL) die allmähliche Auflösung geordneter Verhältnisse. Finnische Tangos und sehr einfallsreich gesetzte Geräusche (Remix: Beat Halberschmidt aus dem Material der finnischen Tangos) dienen ihr mal als direkter Impuls zum deckungsgleichen Solo-Tangotanz, mal als bloßes Fundament für die oft zur Zeitlupe verlangsamten Variationen mit Stühlen, Gläsern, Tellern, Bestecken, Kleidern, zum Turnen an, auf, unter der Tischplatte.

Meist agieren die Tänzer gestisch, selten gleiten sie über in Tanz, der den ganzen Körper erfasst. Rößler spielt mit dem Grotesken: Allein die Köpfe tauchen über der Tischkante auf, als seien sie vom Körper getrennt worden. Zungen „klicken“ im Mund hin und her zum hörbaren Ticktack-Rhythmus. Arme und Hände fuhrwerken mit Messer und Gabel auf den Tellern herum, die aufgenommenen Bissen gehen ins Leere, denn die Köpfe fehlen. Nach und nach stellt sich Ungeduld ein: Wann geht‘s denn endlich los, wann löst sich der Ablauf vom vorhersehbaren sterilen Durchbuchstabieren isolierter Gags?

Trotz der enormen Konzentrationsleistung beider Tänzer (Pedro Malinowski, Olaf Reinecke), die sie die knappe Stunde durchhalten, sackt die Spannung ab. Neue Aufmerksamkeit erregt eine unvermittelt ausbrechende Kampfszene mit Würfen, Hebungen, Fallen. Sie mündet in einen Flirt des Duos, jetzt bis zum Gürtel entkleidet, mittels Fast-Berührungen à la Contact Improvisation mit plötzlicher Umarmung. Folgt das Abdriften in eine Albtraumwelt im fahlen Licht: Selbsterhängungsversuche mit dem Hemdärmel, Cut als Zwangsjacke.

Rößler fährt eine Menge Effekte auf, vermag sie aber nicht zum Ganzen zusammenzufügen. Eher nett, als tiefgründig verplätschert ihr Dinner. Zum Ende entkleiden sich die Tänzer vollständig, balancieren mit nacktem Hinterteil die seitlich gekippten, auf die Tischfläche gestellten Stühle aus – totale Entblößung. Das Licht verlöscht. Etwas ratlose Stille, dann freundlicher Applaus der etwa 50 Zuschauer.

Als die TCL noch in den Kammerspielen des örtlichen Theaters auftrat, kamen mehr, aber dort mochte der Intendant Marc Adam die Companie nicht mehr haben. Er begnügt sich mit Tanz-Gastspielen, in dieser Spielzeit sind drei angekündigt: aus Schwerin, Nantes und Hamburg (Ballettschule Neumeier). Am neuen Spielort der TCL, dem restaurierten Hafenschuppen 6, dient eine Art Podium, nach drei Seiten offen, als karge Bühne ohne technische Ausstattung. Parkplätze sind nicht in der Nähe, vom Fußboden steigt die Kälte hoch, denn die Wärmestrahler hängen oben. Solch profane Nachteile halten Publikum ab, eine auch nur mittelfristige Planung der TCL könnte so mangels Zuspruch scheitern.

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