Platel goes Butoh
Deutsche Erstaufführung: „C(h)oeurs" bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen
Alias Compagnie und Expressions Dance Company bei den Schlossfestspielen
Mit zwei herausragenden Programmen hat sich die Tanzreihe der Ludwigsburger Schlossfestspiele von ihrem so stimmungsvollen Veranstaltungsort Karlskaserne verabschiedet. Zunächst zeigte die fünfköpfige Alias Compagnie aus Genf ihr „L'odeur du voisin“ (Der Duft des Nachbarn), in dem Guilherme Bothelos und Caroline de Cornieres gemeinsame Choreografie den alltäglichen Wahnsinn nach und nach von der sarkastischen Karikatur ins Surrealistische steigert, bis er sich schließlich im Nirwana des ganz und gar Aberwitzigen auflöst.
Es beginnt in einem Restaurant, in dem diese Gäste vergebens um Bedienung bitten, während sich jene mit dem Kellner beim Samba vergnügen, in dem eine Dame ihr Steak buchstäblich mit Klauen und Zähnen verteidigt, ein Mann seine Partnerin mitleidslos in Grund und Boden brüllt, ein anderer wieder vom Personal beflissen gefüttert wird. Nach der Pause setzt sich das in einem Büro fort, in dem Angestellte übereifrig mit virtuellen Telefonen und Computern hantieren, Konferenzen abhalten, sich in sinnlichen Tagträumen entblößen und am Ende von einem gewaltigen Papierregen ersäuft werden. Das Stück biedert sich weder mit überzogener Mimik, noch mit Klamauk an, sondern es erzählt seine Geschichte zu einer alle Stilrichtungen umfassenden Musikcollage ausschließlich durch beschwingten, schnellen, akrobatischen und vor allem originellen Tanz, oft sogar Gesellschaftstanz, der mit seiner lakonischen Akribie in der freien Szene kaum seinesgleichen hat.
Wenige Tage danach die Expressions Dance Company aus dem australischen Brisbane mit ihrem exzeptionellen „Virtually Richard III.“, einer auf knapp anderthalb Stunden eingedampften Tanzversion von Shakespeares blutrünstigem Drama. Die Choreografin Maggi Sietsma hat die Geschichte auf ein Psychogramm ihres skrupellos-machtgierigen Titelhelden reduziert, die männlichen Hauptrollen eher schattenhaft gelassen und die weiblichen hervorgehoben. Abel Valls hat dafür eine Musik geschrieben, die am besten mit Ethno-Pop beschrieben ist, Nahum Szumer eine Bühne gebaut, die von einem fahrbaren Stahlrohrverhau mit eingebautem Thron beherrscht wird und Greg Clarke Kostüme aus Jeans und leicht historisierenden Oberteilen geschneidert.
Die Produktion lebt, so bewundernswert die gesamte, bestens trainierte, achtköpfige Truppe auch ist, von der unerhörten Bühnenpräsenz, darstellerischen Brillanz und tänzerischen Rasanz ihres Hauptdarstellers Daniel Crestani. Wie er, Shakespeares rudimentäre Texte hervorgeifernd, mit sardonischem Grinsen, mit dem er das Publikum zu seinen Komplizen macht, humpelnd über die Bühne jagt, mit größtem Behagen alles um sich herum meuchelt, was seinem unstillbaren Hunger nach Macht im Weg steht, das ist ganz großes, erschreckendes und begeisterndes Theater. Irgendwie mag man dieses Ungeheuer, ist fasziniert von seiner hemmungslosen Eigenliebe, von der Befriedigung, die ihm jede neue Leiche verschafft.
Und das Schönste ist, dass Sietsma ihr durchweg avantgardistisches Bewegungsmaterial in leichtfüßigen, eleganten, wundervoll fließenden, geradezu luftigen Tanz verwandelt, dem höfische und klassische Elemente einen sehr eigenwilligen Reiz verleihen. Man kann nur bewundernd staunen und den Schlossfestspielen dringend empfehlen, diese Ausnahmecompany schnellstens mit weiteren Arbeiten ihres Repertoires wieder einzuladen.
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