Tänzerisch durchaus Furore gemacht

Das Gastspiel der Grands Ballets Canadiens de Montréal

Ludwigsburg, 11/10/2002

Les Grands Ballets Canadiens de Montréal gehören seit einem halben Jahrhundert zu den führenden Truppen Kanadas. Unter der Leitung ihres neuen Chefs Gradimir Pankov, der schon mit der Renovierung des Genfer Balletts Aufsehen erregt hat, wagen sie einen Aufbruch zu neuen Ufern, ohne dabei ihre Tradition des klassisch-modernen Repertoires zu vernachlässigen. Bei ihrem zweitägigen Gastspiel zur Eröffnung der Ludwigsburger Tanzforum-Reihe präsentierten die Kanadier beide Seiten ihrer künstlerischen Medaille. Leider. Denn der Abendfüller „Pique Dame“ nach Puschkin am ersten Abend, den Kim Brandstrup im vergangenen Jahr für die Grands Ballets schuf, ist eine choreografische Tranfunzel fadester Art.

Der Däne erzählt die Geschichte Herrmanns, dessen Spielleidenschaft mehrere Menschen ins Verderben stürzt, auf der stets halbdunklen Bühne in neoklassischer Manier langatmig und altväterlich, endlose Traum- und Erinnerungssequenzen strecken das Stück auf die notwendige Länge von knapp zwei Stunden – es ist nicht der Hauch eines originellen Einfalls zu sehen. Wegen mangelnden Lichts auch nicht die Gesichter der Handelnden, die zu identifizieren deshalb kaum möglich ist. Einige beeindruckende Einfälle der Videografen Sylvain Robert und Jimmy Lakatos lockern die Sache etwas auf, reichen aber nicht zu ihrer Rettung. Einzig die von Gabriel Thibaudeau nach Motiven aus Tschaikowskys gleichnamiger Oper extravagant arrangierte Musik sorgt zuweilen für Aufmerksamkeit. Schwamm drüber.

Ein ganz anderes Bild am zweiten Abend: Da erwiesen sich die Kanadier in einem gemischten Programm als eine Equipe blitzsauber trainierter Klassetänzer. Zwar waren die „Hommage an Ohad Naharin“ mit Ausschnitten aus drei Arbeiten dieses israelischen Weltstars und Nacho Duatos noch ganz von seinem Vorbild Jiri Kylián inspirierter Erstling „Jardi Tancat“ aus dem Jahre 1983 in der Region und Ludwigsburg schon einige Male mit deren eigenen und anderen Compagnien zu sehen, aber interessant und bühnenwirksam sind diese Stücke noch immer.

Die Überraschung des Gastspiels aber war die europäische Erstaufführung von „Beyond“, das der hier völlig unbekannte junge Amerikaner Adam Hougland vor drei Jahren als sein erstes Werk überhaupt für die renommierte Juilliard School in New York choreografiert hat. Zu meditativer Streichermusik von Ralph Vaughan Williams schickt er vier Paare in silbernen Kleidern auf die Reise durch ein unbekanntes Territorium, das sie nur mit größten Vorbehalten betreten. Eine Frau allein hat am Ende den Mut, ihre Expedition fortzusetzen und sich der Fremde zu stellen. Das Stück entwickelt sich aus einer zunächst elegischen Stimmung in einen sehr dynamischen Widerstreit der Emotionen, der nicht nur durch seine kluge Nutzung des Bühnenraumes und stupende Musikalität besticht, sondern vor allem durch Houglands Fähigkeit, mit sich bewegenden Körpern Atmosphäre zu schaffen.

Dabei bedient er sich ausschließlich des heute gängigen, modernen Tanzvokabulars, das hier jedoch vergleichsweise neu erscheint, weil der Choreograf im Stande ist, sich mit seiner Hilfe ohne Umschweife dem Publikum zu nähern. Dieser Choreograf wäre durchaus auch eine Entdeckung für europäische Bühnen. Was ihr Repertoire angeht, das sie mit vielen anderen Truppen teilen (zum Glück nicht die „Pique Dame“), sind Les Grands Ballets alles in allem nicht gerade eine Offenbarung gewesen. Aber tänzerisch haben sie durchaus Furore machen können.

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