Jahrgang 1927

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Stuttgart, 01/01/2002

Das scheint ein besonders großer choreografischer Jahrgang gewesen zu sein, um es in der Terminologie der Önologen zu sagen, - von exzeptionellen Öchslegraden: der 27er des vorigen Jahrhunderts. Und so kündigte er sich prompt am 1. Januar mit der Geburt von Maurice Béjart an. Als Fünfundsiebzigjährigen kann man sich ihn nun allerdings wirklich nicht vorstellen – ihn, den Ballettjugendlichen vom Dienst und eloquentesten Fürsprecher der Jugend (und besonders der Jungen).

Heute sind wir stolz darauf, ihm damals zum internationalen Durchbruch verholfen zu haben, 1957 bei den Berliner Festwochen, nachdem er seine Lehrjahre in Paris, London und Stockholm absolviert hatte – zwei Jahre vor seinem sensationellen „Sacre du printemps“ in Brüssel. Das konnte sich die damals noch ruhmreiche Sowjetunion natürlich nicht bieten lassen, und so brachte sie prompt am folgenden Tag, dem 2. Januar, zehn Jahre nach der Oktoberrevolution, den Choreografen zur Welt, der dem russischen Nachkriegsballett seinen Stempel aufprägen sollte: Juri Nikolajewitsch Grigorowitsch, der ebenfalls 1957 seinen entscheidenden Durchbruch hatte – als Ehrenretter von Prokofjews bei ihrer Moskauer Uraufführung 1954 wenig erfolgreichen „Steinernen Blume“. Er wurde dann zur Galionsfigur des Sowjetballetts der zweiten Generation und schließlich als Chef des Moskauer Bolschoi-Balletts zu seinem Zar, mit weltweiten Verbindungen, besonders nach Paris, die ihm auch heute noch zugutekommen, wenn auch sein Einfluss längst nicht mehr an die Machtfülle heranreicht, die er während seiner Glanzzeit besaß.

Der nächste große 75er – wenigstens unter den Choreografen – wurde dann am 15. August geboren: John Cranko, und für den haben wir in Deutschland, und natürlich ganz besonders wir in Stuttgart, allen Anlass besonders dankbar zu sein (und wenn es das koeglerjournal dann noch gibt, werden wir nicht nur pflichtschuldigst, sondern voller Herzlichkeit seiner gedenken).

Gut zwei Monate später, am 22. Oktober, kann dann unser Mann in Prag seinen Fünfundsiebzigsten feiern: Pavel Smok, der im Abseits des Nationaltheaters zusammen mit Lubos Ogoun 1964 das Prager Kammerballett gründete und unter den entbehrungsreichsten Schwierigkeiten zu internationalem Ruhm geführt hat – ein Mann, der durch seine subtilen Kammerballette (insbesondere zu Musik von Janáček) sich zahlreiche Freunde erwarb.

Und zum Jahresende, sozusagen als Spätlese, lieferte dann auch Deutschland noch seinen Beitrag: am 30. Dezember kam in Fürth Erich Walter zur Welt, der Jahre vor Cranko in Stuttgart das „Wuppertaler Ballettwunder“ bewirkte – zusammen mit seinem Freund, Mentor und Lebenspartner Heinrich Wendel, ein Choreograf von exzeptionellem musikalischen Anspruch, dem neoklassizistischen Vorbild von Balanchine verpflichtet. Walter-Wendel wurden so die konsequentesten Pioniere des neoklassizistischen Balletts in Deutschland, dem sie dann, mit ihrem Wuppertaler Intendanten Grischa Barfuss (einem der dem Ballett gegenüber aufgeschlossensten Intendanten des deutschen Nachkriegstheaters) nach Düsseldorf übersiedelnd, an der Deutschen Oper am Rhein eine leistungsmächtige Bastion schufen.

Sicher habe ich noch den einen oder anderen Choreografen übersehen – aber ist es ein Zufall, dass 1927 auch zwei der einflussreichsten internationalen Kritiker geboren wurden – am 16. März John Percival, langjähriger Kritiker der Londoner Times und heute beim Londoner Independent, und am 13. Mai Clive Barnes, der von London aus nach New York ging und dort erst Kritiker der New York Times und dann der New York Post wurde. Aber auch der folgende Jahrgang 1928 war noch einmal ganz ergiebig – siehe (in strikter alphabetischer Reihenfolge) Richard Adama, Gerald Arpino, Milko Sparemblek, Tom Schilling und Werner Ulbrich...

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