Neueinstudiert: John Neumeiers „Wie es euch gefällt“

oe
Hamburg, 11/11/2002

Immerhin bereits die 58. Vorstellung des Balletts, das bei seiner Uraufführung 1985 noch „Mozart und Themen aus ‚Wie es euch gefällt‘“ hieß – richtiger, wie ich meine, denn die jetzige direkte Übernahme des Shakespeare-Titels weckt eine Erwartungshaltung, die nicht korrekt bedient wird. Dies ist ja keine der üblichen ballettistischen Nacherzählungen der Shakespeare-Komödie, sondern ein freies Paraphrasieren der in ihr präsentierten Themen, fokussiert auf die Liebe (natürlich) und den Ardenner Wald. Variationen über „Wie es euch gefällt“ gewissermaßen. Und die gehen ganz wunderbar zusammen mit der geschickt ausgewählten Musik, Sätze vom Off-Mozart zumeist, von den Hamburger Symphonikern, dem Dirigenten Michael Schmidtsdorff und dem hier vielbeschäftigten Soloviolinisten Stefan Czermak ausgesprochen ohrschmeichelnd musiziert.

Es ist kein ganz leicht zu konsumierendes Ballett – auch ich hatte anfangs ziemliche Schwierigkeiten, mich in dem Rollen-Labyrinth zurechtzufinden – zumal bei den vielen Verkleidungen samt Geschlechtertausch. Idealerweise sieht man es zuerst einmal ganz unbefangen, studiert dann das Programmheft, und sieht es dann noch ein zweites Mal. Erst dann wird einem der ganze Reichtum an Ideen aufgehen, die Neumeier hier investiert hat, die zahlreichen, so ungemein anrührenden menschlichen Gesten und Profilierungsnuancen, die aus diesem Ballett einen ganzen Kosmos der Gefühle machen. Aber wer kann sich das schon leisten (außer den Kritikern natürlich)? Es ist jedenfalls ein ganz unglaublich reiches Ballett, ein fröhlich und heiter, aber auch nachdenklich und melancholisch stimmendes Ballett, aufs innigste der Musik Mozarts vermählt.

Und es wird so hinreißend leicht und luftig getanzt, getragen sozusagen vom mozartschen Ballon. Ein Shakespeare-Ballett wie kein anderes – weit entfernt von all diesen „Romeos“ und „Othellos“, „Hamlets“ und „Sommernachtsträumen“ (auch von Neumeiers anderen Shakespeare-Adaptionen).

Peter Dingle ist eingesprungen als Jaques – das ist hier der heutige Radfahrer, der sich in den Ardenner Wald verirrt: ein bei aller Robustheit eher zarter, verletzlicher Bursche, der jede seiner Gesten, jeden seiner Schritte mit anrührender Wärme auflädt. Welch eine Breite der unterschiedlichsten Gefühle in dem hoheitsvollen Liebespaar, die Heather Jurgensen und Jiří Bubeníček als Rosalind und Orlando investieren, während Anna Polikarpova und Otto Bubeníček als Celia und Oliver dessen schelmische Variante darstellen und Joelle Boulogne und Thiago Bordin als Phebe und Silvius die arkadische Schäferdimension ausloten und Natalia Horecna und Loris Bonani das rustikale Pendant dazu bilden (hoffentlich habe ich mich in der Rollenpaarzuweisung nicht geirrt, denn man kann dabei, wie gesagt, leicht durcheinander geraten). Und wie wunderbar vermenschlicht der fabelhaft vielseitige Lloyd Riggins seinen Clown Touchstone (bei dem ich wiederholt an Max Midinet denken musste). Und so müsste ich eigentlich das ganze Rollenregister dieser hinreißenden Truppe in der so beglückenden Realisierung dieses Shakespeare-Mozart-Neumeier Akkords durchgehen.

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