Crankos Erbe
Das Stuttgarter Ballett trauert um Dieter Graefe
Zum Auftakt der Ballettspielzeit 2002/03 also David Bintleys Dampfwalzen-Abendfüller „Edward II.“, der das volle Haus unter 1000-Volt-Spannung setzte – wie denn auch nicht – bei dieser Starbesetzung mit Douglas Lee, Bridget Breiner, Filip Barankiewicz und Jiri Jelinek (drei Vorstellungen mit drei verschiedenen Besetzungen – das nenne ich tänzerische Kompanieerziehung). Und alle werden immer besser, gewinnen ihren Rollenprofilen immer neue Facetten ab, tanzen mit einer aus allen Nähten platzenden Lust und einem Enthusiasmus, dem unmöglich zu widerstehen ist (es sei denn man sei ein unverbesserlicher Progressivist oder ein Griesgram).
Ich gebe ja gern zu, dass auch ich Bintleys „Edward II.“ nicht gerade für den Musterfall eines zeitgenössischen dramatischen Handlungsballetts halte – andererseits entdecke ich von Vorstellung zu Vorstellung immer neue handwerkliche Qualitäten. Auch gefällt mir die Musik von John McCabe, die an diesem Abend Willem Wentzel mit nicht nachlassender feuriger Energie dirigierte, immer besser, je mehr mir ihre thematische Verknüpfungstechnik bewusst wird.
Wenn sich Bintley doch nur dazu entschließen könnte, weiter an diesem Ballett zu arbeiten – beispielsweise diese herzlich überflüssige ordinäre Fauvel-Truppe zu eliminieren und im zweiten Akt dann auch zu kürzen – die ausufernden französischen Hoftänze und das viele zu lange finale Duo Edwards mit seinem Gefängniswärter Lightborn (auch die Rolle von Edwards neuem Playboy Despenser müsste kräftiger profiliert werden)! Welche andere unserer Truppen wäre in der Lage, diese speckig-widerliche Hofkamarilla um Mortimer mit einer so unbändigen Wut auf die Bretter zu knallen. Es ist eine Lust, in einer Stadt zu leben, die eine mit so eskalierender theatralischer Wucht tanzende Kompanie ihr eigen nennt!
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