Stuttgart und der Frankfurter „Fall Forsythe“

oe
Stuttgart, 02/06/2002

Um noch einmal auf das kj vom 29.5. zurückzukommen („Ist München eine Ballettstadt?“): Ist Stuttgart eine Ballettstadt? Was die Ballettberichterstattung in den lokalen Gazetten angeht, habe ich da so meine Zweifel.

Von Stuttgart ging William Forsythes Ruhm aus – hierher kam er zweiundzwanzigjährig 1971 als Tänzer, hier machte er seine ersten Choreografien, von hier ging sein Ruhm als Juniorchoreograf aus, mit der Uraufführung von Henzes „Orpheus“ 1979 als Höhepunkt. 1984 wurde er in Frankfurt Ballettchef, seit 1990 ist er Intendant des Balletts Frankfurt und baute seine Kompanie zur vordersten internationalen Plattform innovativer Ballettchoreografie aus – ein in der ganzen Welt bewundertes Modell und Frankfurts kulturelles theatralisches Aushängeschild, denn Schauspiel und Oper hatten in den letzten Jahren mehr durch ihre internen Querelen als durch künstlerische Taten Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Seit Donnerstag letzter Woche sind Frankfurt und die internationale Ballettwelt in heller Aufruhr, denn es ist durchgesickert, dass der Magistrat der Stadt darüber nachdenkt, Forsythes 2004 auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern. Man ist dort offensichtlich seiner Arbeit müde, will eine andere Art – sprich klassischeres – Ballett, kokettiert mit Köln und seinem Gastspielbetrieb, verspricht sich davon ein vielfältigeres Programmangebot und ein gesteigertes Publikumsinteresse und hofft blauäugig auf eine Kostensenkung und eine Steigerung der Einnahmen.

Da hatte man aber offenbar nicht mit der Reaktion der Tanzinternationale gerechnet. Seit Freitag schwirrt es im Internet nur so von Protesten, wird öffentlich dazu aufgefordert, die Frankfurter Oberbürgermeisterin und den Kulturdezernenten mit E-Mails und Briefen zu bombardieren, die großen deutschen Zeitungen stellen sich geschlossen hinter Forsythe und seine Kompanie, und auch die internationale Kollegenschaft bekundet geschlossen ihre Solidarität. Darüber hinaus greifen auch die führenden internationalen Zeitungen den „Fall Forsythe und Frankfurt“ auf, hagelt es Brandbriefe auch von Museumsleitern und Veranstaltern aus der ganzen Welt.

Und Stuttgart? Hier herrscht absolute Funkstille – jedenfalls habe ich in den hiesigen Medien nichts darüber gehört oder gelesen. Ich formuliere das so vorsichtig, denn bei der heutigen Zahl von Lokalsendern und Publikationen kann es durchaus sein, dass mir die eine oder andere Nachrichtenmeldung entgangen ist. Doch was mich wurmt, ist natürlich, dass keine der beiden großen Lokalzeitungen es für nötig gehalten hat, ihre Leser über den in Frankfurt sich anbahnenden Skandal zu informieren. Und das, wie gesagt, bei den engen Beziehungen Forsythes zu Stuttgart – und eingedenk dessen, dass Stuttgart von allen deutschen Ballettkompanien – dank der beharrlichen Bemühungen Reid Andersons – das umfangreichste Forsythe-Repertoire aller deutschen Kompanien außerhalb Frankfurts hat (und ein paar Sturköpfe davon überzeugt sind, dass die Forsythe-Ballette in Stuttgart vielleicht nicht stilistisch richtiger, aber technisch besser getanzt werden als in Frankfurt). Will Stuttgart immer noch behaupten, eine Ballettstadt zu sein?

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern