Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Dass es schwierig sein würde, das Hamburg Ballett nach 50 Jahren John Neumeier auf neue Wege zu führen, war von vornherein klar. Dass es aber bei der zweiten Premiere so deutlich danebengehen würde, war dann doch nicht absehbar. Demis Volpi war das Wagnis eingegangen, Aszure Barton das Hauptwerk des Abends anzuvertrauen, eine ganz neue Kreation zu einer eigens dafür komponierten Musik des international renommierten Jazz-Trompeters Ambrose Akinmusire für großes Orchester. Das Wagnis, so schien es, war begrenzt – schließlich hatte Barton bereits für die Pariser Oper, das Mariinsky Theater, das Sadler’s Wells, das American Ballet Theatre, das English National Ballet, das Alvin Ailey Dance Theater, das Bayerische Staatsballett, das Nederlands Dans Theater, das Ballett der Mailänder Scala und das Große Theater von Havanna „Alicia Alonso“ gearbeitet. Mit einer großen Bühne und einem großen, klassisch ausgebildeten Ensemble sollte sie also doch umzugehen wissen, so denkt man. In Hamburg war sie bisher nur auf Kampnagel aufgetreten, in kleiner Besetzung zwar („Where There's Form“ und „AA|AB: BEND“), aber durchaus vielversprechend. Aber was auf Kampnagel und mit einer Handvoll Tänzer*innen funktioniert, klappt nicht zwangsläufig auch auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper und mit einer großen Kompanie wie dem Neumeier-geprägten und -geschulten Hamburg Ballett. Dessen Potenzial wurde hier bei weitem nicht ausgeschöpft, um nicht zu sagen: verschenkt.
Beliebige Banalität
„Slow Burn“ beginnt mit zwei Frauen in orangefarbenen Kostümen auf schwarz abgehängter Bühne (mehr Bühnenbild gibt es nicht). Und es ist ein wirklicher Gewinn dieses Abends, dass er uns Silvia Azzoni zurückgebracht hat, die immer noch eine zwingende Bühnenpräsenz mit sich bringt und nach wie vor eine absolut überzeugende Stilistik und Technik. Für Madoka Sugai, die zweite im Bunde, gilt das nicht minder. Und so sind es vor allem diese beiden, die das Stück durch die 60 Minuten tragen.
Es sind, wie es im Programmheft in einem Interview mit Aszure Barton heißt, „zwei langjährige Freundinnen, die sich unterstützen und zuhören; sie ehren und feiern sich gegenseitig und stehen zusammen aufrecht“. Dass es sich dabei um „weise Frauen“ handelt, denen Barton die Ehre erweisen wollte, ist da schon weniger erkennbar. Und auch eine Gesamtdramaturgie sucht man vergeblich.
„Slow Burn“, das bedeutet übersetzt „langsames Feuer“, etwas, was sich aus dem Kleinen mit der Zeit entwickelt, um dann groß zu werden. Diese Klimax ist in dem Stück nicht wahrnehmbar. Es ist ein eher beliebiges, banales Vor-sich-hin-plätschern; da wird immer wieder gerannt, gehüpft, gedreht, gewälzt und mit den Armen gewedelt. Die Ensembles sind meistens synchron arrangiert – gerade beim Spiel mit der großen Form geht Aszure Barton offenbar dann doch die Luft aus.
Ein Übriges tut die geradezu einschläfernde Musik von Ambrose Akinmusire, der sicher ein sehr guter Jazz-Musiker ist, aber das Arrangement für großes Orchester ist ihm hier wirklich gelungen, auch wenn sich das Philharmonische Staatsorchester unter Simon Hewett Mühe gibt, dem Ganzen noch Höhen und Tiefen abzugewinnen.
Für die Kostüme hat sich Michelle Jank nicht mehr benötigte Garderobe aus dem Opernfundus ausgesucht und diese in Orangetönen eingefärbt und aufgepeppt. Nachhaltigkeit ist wohl das Gebot der Stunde. Auch das bekommt dem Stück nicht sehr gut, weil die Bewegungen in den voluminösen Röcken und üppig dekorierten Hosen schlicht untergehen.
Dynamische Etüden
Teil 2 des Abends bestreitet dann William Forsythe mit „Blake Works V (The Barre Project)“. Wie John Neumeier entstammt Forsythe der Wiege des Stuttgarter Balletts unter John Cranko, ging allerdings choreografisch einen gänzlich anderen, viel abstrakteren Weg.
„The Barre Project“ entstand in der Corona-Zeit, als Tänzer*innen vielerorts der Zutritt zu den Studios und Bühnen aufgrund der Lockdowns verwehrt war. Das Training fand dann eben zuhause statt, und als Stange („The Barre“) musste alles herhalten, was irgendwie zum Festhalten taugte. Daraus hat Forsythe ein kurzes Stück entwickelt, das ursprünglich nur online gezeigt wurde und jetzt das Mittelstück der 35 Minuten umfassenden, stark erweiterten Version V bildet. Diese beginnt allerdings nicht an der Stange, sondern im freien Raum.
Und auch hier gilt es, ein Comeback zu feiern: Alexandre Riabko war endlich wieder auf der Bühne zu sehen. Zusammen mit Francesco Cortese bestreitet er in der gewohnten Eleganz den Prologue zur gewöhnungsbedürftigen Musik (oder soll man eher sagen: zum Geknarze?) von James Blake. Dazu gehören auch noch ein Pas de Trois für Joaquin Angelucci, Ida Praetorius und Moisés Romero, ein Pas de Deux für Anna Laudere und Matias Oberlin und ein Solo für Daniele Bonelli.
Jetzt erst folgt „The Barre Project“ mit einzelnen Auftritten von Futaba Ishizaki, Aleix Martinez, Charlotte Larzelere, Sasha Trusch, Anna Laudere und Alessandro Frola. Und hier, in diesen an dynamische Etüden erinnernden Sequenzen, zeigt sich die Virtuosität des Ensembles. Mit wie viel Verve diese Tänzer*innen sich auf die schwierige und extrem auf Tempo und technische Präzision dressierte Choreografie einlassen, das sucht schon seinesgleichen.
Für eine Uraufführung war der Applaus für Bartons „Slow Burn“ relativ kurz und feierte vor allem die Tänzer*innen, ganz vereinzelt war sogar ein „Buh“ zu hören. Hier war deutlich wahrnehmbar, dass das Publikum nicht so recht überzeugt war – zu Recht. Der Schlussapplaus nach dem „Barre Project“ gestaltete sich schon deutlich stärker und galt auch hier in erster Linie dem Ensemble – Forsythe selbst war zu dieser Premiere nicht gekommen.
Stimme der Rezension zu 100% zu! Dass Silvia Azoni und Alexandre Riabko endliich mal wieder zu sehen sind, ist der grösste Verdienst dieses Programms. Beide sind immer noch der Massstab!
"Slow burn" (dagegen) brennt so langsam, dass es nicht wirklich (Zuschauner-) Leidenschaft oder gar "Feuer" entfacht. Einige Bilder sind schon "nett" - aber das kann "jede" Compagnie! Da sieht man in keinster Weise die Qualität und STIL des Hamburg Ballett. "Vergeudung" ist das - leider - richtige Wort. Bitte NICHT weiter so!
Der zweite Teil ist etwas versöhnlicher ...
Aber dass das "Hamburg Ballett" so schnell zu einem "Stadt XY Ballett" (degardiert) wird, und die Aura des/ der "John Neumeier" / - Exzellenz gesucht werden muss, ist enttäuschend, ja erschreckend!
Schade - nein, traurig!
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