Ballettabend „Dutch Dance“

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Stuttgart, 26/02/2003

Die zweite Vorstellung des neuen Ballettabends „Dutch Dance“ im Kleinen Haus – das Publikum hingerissen und am Schluss regelrecht ausgeflippt. Ein kleiner genialer Programmierungsstreich Reid Andersons. Nach den klassischen Amerikanern also diesmal die Holländer – nur ein echter, Hans van Manen, die anderen drei Reingeschmeckte, wie man in Schwaben so schön sagt – Jiří Kylián, der Tscheche, Paul Lightfoot, der Engländer (mit seiner Frau Sol Léon) und der Israeli Itzik Galili – und sind doch alle ausgesprochen NDT-infiziert und -geprägt. Sozusagen eine Geo-Tour de ballet.

Zuerst die beiden Altmeister: Van Manen mit der inzwischen Klassiker-Status genießenden „Großen Fuge“ (die vier Tänzerpaare, darunter Bridget Breiner und Roberta Fernandes, Ivan Gil Ortega und Douglas Lee als tänzerische Raumvermesser aus der Mondrian-Schule), sodann von Kylían sein sehr früher, noch ganz romantisch durchtränkter Debussy-Pas de deux „Nuages“ (Jahrgang 1976 – nostalgische Erinnerungen an die ungemein eleganten Birgit Keil und Jonas Kage, noch nicht ganz eingeholt von den gleichwohl wunderbar linienschlanken Breiner und Robert Conn) und sein enigmatisches „No More Play“, mit Yseult Lendvai und Sue Jin Kang, Jason Reilly, Filip Barankiewicz und Marijn Rademaker als Spurensucher ihrer atavistischen Vergangenheit.

Das ist wie eine Geschichtslektion im Holland-Raum des Ballett-Stedelijk-Museums. Und dann also die nächste Generation aus dem Pop-Museum, dessen Direktor Rudi Carell heißen könnte. Absolut irre Galilis darauf folgende „Mono Lisa“ für Alicia Amatriain und den für Friedemann Vogel eingesprungenen Jason Reilly – und das kann man sich nun überhaupt nicht vorstellen, dass sein Part ursprünglich für einen Kollegen choreografiert wurde. Ich lasse meiner Fantasie freien Lauf und sehe eine Tänzerin, die mit ihren messerscharfen Beinen die Luft wie mit einem Florett durchteilt – wie zwei Uhrzeiger, die sich selbständig gemacht haben, während er sie zu beschwichtigen und wieder zur Raison zu bringen versucht. Ein absoluter Show-Stopper – und zwei Tänzer, die zum Schreibmaschinengeklapper ihre Bodies immer wieder wie ein Uhrwerk neu aufziehen.

Doch wenn dieser Pas de deux schon wie ein Irrenwitz wirkt – was soll man dann erst zu Lightfoot-Léons „Skew-Whiff“ sagen, was so viel wie „windschief“ heißt – choreografiert für Jorge Nozal, Eric Gauthier und Alexander Zaitsev samt Katja Wünsche zu Rossinis Ouvertüre „Die diebische Elster“? Die Tänzer als Wackelpuddinge, die von ständig neuen Stromstößen durchfahren werden und jegliche Kontrolle über ihre Glieder (und auch über ihre Mienen) verloren haben. Ein Pas de quatre sozusagen als Top-Event einer Comedy-Gala –ein Tollwood Festival en miniature. Kein Wunder, dass das Publikum danach schier ausrastet. Ein Abend reinsten Tanzglücks – und was könnte uns Besseres passieren in unseren von Angst und Furcht erfüllten Tagen!

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