Ballettabend „UK/US Moves“

oe
Stuttgart, 05/06/2003

Eigentlich hatten die Engländer das neue Programm des Stuttgarter Balletts mit drei Uraufführungen bestreiten sollen. Aber dann sagte der arbeitsüberlastete Russell Maliphant ab, und so blieben zwei übrig: Douglas Lee vom Stuttgarter Ballett und der für Stuttgart (und Deutschland) neue Wayne McGregor – zusammen mit der Wiederaufnahme von „dreamdeepdown“ des Amerikaners Kevin O‘Day. So hieß es also an diesem Abend nicht „UK Moves“, sondern „UK/US Moves“.

Erneut demonstrierte Ballettchef Reid Anderson seine Risikobereitschaft – und so kam Stuttgart nach Spuck und Itzik Galili zu seiner dritten und vierten Uraufführung in der laufenden Spielzeit. Das soll ihm erst einmal einer seiner Direktionskollegen hierzulande nachmachen! Und wie für junge Tänzer, so hat Anderson seine Spürnase auch im Falle des neu entdeckten McGregor nicht getrogen: dessen Ballett „Nautilus“ erwies sich als der Knüller des Abends! Vorher haben wir O‘Days „dreamdeepdown“ gern wieder gesehen – trotz der enervierenden Klangbeschallungsorgie von John King. Was ist das aber auch für eine Besetzung – mit Sue Jin Kang, Douglas Lee und Ivan Gil Ortega an der Spitze, hierarchisch gefolgt von den vier Duo-Paaren Katja Wünsche und Robert Conn, Bridget Breiner und Filip Baranckiewicz, Roberta Fernandes und Eric Gauthier sowie Elena Tentschikowa und Ibrahim Önal, beruhend auf dem grundsoliden Fundament der Sechser-Basis alias Patricia Salgado, Magdalena Dziegielewska und Elisa Carrillo Cabrera plus Marijn Rademacker, Thomas Lempertz und Dimitri Magitov.

Ein Ballett wie aus der Spritzpistole choreografiert – und auch so getanzt: siebzehn Tänzer als Sexpistols des Stuttgarter Balletts! Meine Begeisterung für Douglas Lees „Aubade“ hält sich dagegen in engen Grenzen – angeblich ein Ballett über den Tod und Vergänglichkeit nölt es vor sich hin – wie die sämige Streichermusik von Per Nörgard, mit Jorge Nozal und Bridget Breiner an der Spitze dreier weiterer Paare (Katja Wünsche, Roberta Fernandez und Anna Osadcenko plus Mikhail Kaniskin, Ivan Gil Ortega und Thomas Lempertz), die sich sehnend verzehrend in ihren Beleuchtungsspots schlangenhaft umeinander winden – eine Art Laokoon-Choreografie, die auf der Stelle tanzt, zu nichts und nirgends hinführt – ästhetisch oft bestechend anzusehen, das gewiss – eine getanzte Monochromie.

Und dann der Urknall von McGregors „Nautilus“, Elektronik und Perpetuum-mobile-Live-Musik von Michael Gordon, aufgeladen mit Hochspannungs-Drive und Speed (das Staatsorchester unter James Tuggle zielgenau vor sich hin wuselnd), im grünen Neonröhren-Licht mit grünen Transparentbodies (Kostüme, die dem Namen der Designerin Ursula Bombshell alle Ehre machen), eine grüne Spiderwelt (Beleuchtung Lucy Carter) – unheimlich, bedrohlich, aggressiv. Zwölf erste Solisten plus sechs weitere Paare, mit fantastischen Soli für Eric Gauthier und Alicia Amatriain (und all die anderen – darunter immerhin Diana Martinez Morales und Sue Jin Kang, Patricia Salgado, Alexander Zaitsev, Jason Reilly, Filip Barankiewicz und Jiri Jelinek) sowie sechs weiteren Paaren. Was für eine Choreografie! Als wenn in den einzelnen Gliedmaßen der Tänzer jeweils ein eigener Motor säße, der sie antreibt. Das lässt ihre Tänze so ungeheuer kleingliedrig-vielgestaltig erscheinen. Die Tänzerkörper als polymorphe Wesen, die außer klassisch-akademisch (es wird sogar auf Spitze getanzt) auch auf einer chinesischen Artistenschule ausgebildet zu sein scheinen. Unglaublich, was heute alles von Tänzern verlangt wird! Und die Stuttgarter praktizieren das in einer Souveränität, die atemberaubend ist. Was für eine fantastische Kompanie!

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