Ballettalarm in München

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Stuttgart, 12/04/2003

Eine Plattform, die sich „BayernBallett“ nennt, schlägt Alarm: „Die Spielzeit 2002-2003 scheint für das Bayerische Staatsballett die schwierigste seit seiner Gründung 1989 zu sein. Etatkürzungen, die Tatsache, dass es keine neue eigene Produktion gibt (nur den Kauf von alten Choreographien von Kylián und Neumeier), eine äußerst hohe Zahl von Verletzungen unter den Tänzern, eine Reihe von Kündigungen und extreme Spannungen innerhalb des Ensembles plagen die bayerische Tanztruppe.“ Die Tänzer leiden angeblich „unter immer ungünstigeren Arbeitsbedingungen aufgrund einer nicht effizienten Organisation von Training, Proben und Spielplan. Die ungenügende technische Leitung und die Überbelastung, die für die Tänzer großen körperlichen und psychischen Stress bedeutet, haben dazu geführt, dass seit Beginn der Spielzeit die Zahl der Verletzungen und Erkrankungen dramatisch angestiegen ist. Diese Situation hatte zur Folge, dass die künstlerische Arbeit des Bayerischen Staatsballetts stark beeinträchtigt wurde. Die Atmosphäre im Ballettsaal wurde immer gespannter und die Unzufriedenheit der meisten Tänzer mit der Direktion ist in den letzten Monaten stetig gestiegen.“

Dass Lucia Lacarra und ihr Mann Cyril Pierre, die als Stars aus San Francisco zur laufenden Spielzeit nach München verpflichtet worden sind, nach wenigen Monaten bereits wieder gekündigt haben, stellt sich nachträglich als Spitze eines Eisbergs heraus. So wird erst jetzt bekannt, dass auch Oliver Wehe zum Ende der Spielzeit gekündigt hat. Darüber hinaus „haben auch Kusha Alexi (erste Solistin), Maria Eichwald (erste Solistin) und die vor wenigen Monaten engagierte Barbora Kohutkova (Solistin) ihre Absicht geäußert, aus dem Bayerischen Staatsballett wegzuziehen. Fünf der insgesamt neun ersten Solisten verlassen die Truppe. Von den vier übrigen sind nur drei im Moment aktiv, denn die Primaballerina Judith Turos leidet seit Monaten unter einer Verletzung und es ist noch nicht klar, ob und wann sie wieder tanzen kann.“

Wenn gerüchtweise die Rede davon war, dass es im Laufe der Proben zum Neumeier-Porträt zu Spannungen zwischen dem Choreografen, der Ballettdirektion und dem Ensemble gekommen war, so erfahren wir jetzt, dass sich der Streit derart zugespitzt hatte, dass das Corps de ballet die Premierenfeier boykottierte: „Liška und Neumeier mussten sich alleine feiern.“ Summa summarum: „Die Tänzer sind übermüdet, demoralisiert und wütend. Aber alle schweigen. Jeder hat Angst um seinen Arbeitsplatz und um die Zukunft einer fragilen Kunst in Zeiten der Krise ...Viele Münchner Ballettfans sind enttäuscht und fühlen sich betrogen.“

Und wer, bitte, ist das „Bayern Ballett“? Das erfahren wir nicht! Lediglich, dass es sich um „eine offene, freie und unabhängige Plattform für die Diskussion und die Förderung des Balletts in Bayern“ handelt. Aber vielleicht sind wir ja klüger, wenn die Anonymi demnächst, wie angekündigt „ein Internetforum“ einrichten, „um eine aktive Teilnahme aller Interessierten zu ermöglichen.“ Da stehen also Liška und seiner Equipe schwierige Zeiten bevor. Und dabei zählten wir München, trotz der plötzlich aufgeflammten Diskussion um Philip Taylor und sein BallettTheater am Gärtnerplatz, doch zu den solidesten Pfeilern unseres Ballett-Establishments. Krise in Frankfurt, Krise in Berlin, Krise in Freiburg, - wohin soll das noch führen?

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