Das Stuttgarter Ballett auf grosser Amerika-Tournee

oe
Stuttgart, 03/04/2003

Ja, das waren noch Zeiten, als das Stuttgarter Ballett seine ersten Ausflüge rund um den Globus unternahm und wir als Kritiker eingeladen waren, mitzureisen und unsere laufend nach Stuttgart –meist noch per Telefon – übermittelten Reports am nächsten Tag in der Zeitung standen! Solche Einladungen kann sich die Kompanie schon lange nicht mehr leisten, die Zeitungen sowieso nicht, die sich schon schwertun, wenigstens den einen oder anderen Bericht von der Tournee unterzubringen. Gott sei Dank gibt es inzwischen das Internet – und da kann man sich mit einigem Geschick und der notwendigen Ausdauer über die Reaktion auf die Vorstellungen in den einzelnen Städten informieren.

27 Vorstellungen absolvieren die Stuttgarter derzeit in zehn amerikanischen Städten zwischen Costa Mesa (das liegt südlich von Los Angeles) und dem City Center in New York. Auf dem Programm stehen neben Crankos Dauerhit „Romeo und Julia“ immerhin zehnmal Abende mit Choreografien von Daniela Kurz, Uwe Scholz, Douglas Lee, Kevin O´Day und Christian Spuck – ein großes Risiko, das Reid Anderson da eingegangen ist. Die Begeisterung für die Stuttgarter Juniorenchoreografen scheint sich in Grenzen zu halten – am meisten reüssierte beim Tourneestart offenbar Scholzens „Siebte Sinfonie“ (sicher in seiner Balanchine-Nachfolge das konventionellste Ballett im Angebot der Stuttgarter).

Worin sich die Kritiker und das Publikum vollkommen einig sind, ist indessen die Qualität der Tänzer – die Begeisterung für die jungen Stuttgarter ist schier grenzenlos. Über seine sehr informative Kritik der vier restlos ausverkauften „Romeo““-Vorstellungen in der Zellerbach Hall des Campus der renommierten Universität von Berkeley im San Francisco Chronicle setzte Octavio Roca gar die Überschrift „A ‚Romeo and Juliet‘ to die for“. Und der Mann ist kein Schwärmer, denn er vergleicht in seiner sehr langen Besprechung alle möglichen Versionen, von Lawrowsky angefangen bis zu Preljocac – wobei Lawrowsky für ihn an erster Stelle steht, doch gleich danach kommt Cranko, den er ob seiner „sublime fusion of gesture and movement“ rühmt und darüber hinaus als „the freshest and youngest, perhaps the truest to the Shakespeare spirit. This is a great ballet!“ Sue Jin Kang ist die einzige schon von einer früheren Tournee bekannte Tänzerin – Roca bewundert sie ob ihres „lovely transition from gawky teen to young woman transformed by love: in her bearing, her placement, her smile.“ Noch enthusiastischer preist er Filip Barankiewicz als „the embodiment of bliss from the moment he first touched Juliet´s hands to his face“ – und ihre Balkon-Szene als „the most effective of any version since Lavrovsky´s original – ravishing!“

Die wichtigste Entdeckung für ihn war indessen Ibrahim Onal als „the darkest and most electrifying Tybalt in my experience. Cruel and almost insolently sexy, his line impeccably pure. Onal owned the stage with the sort of star power that can´t be taught.“ Amüsant zu lesen auch die Chat Pages im Internet, auf denen das Publikum seine Meinungen austauscht. Da bekennt eine gewisse Dame namens Giannina, dass „what I love most about ballet is a ballerina on pointe.“ Nichtsdestotrotz titelt sie ihren Beitrag „Barankiewicz, Barankiewicz, Barankiewicz“, den sie als eine „revelation“ feiert: „Young (looked too young to be able to dance as well as he did), tall, and wonderful. He stood out not because of dazzling technique, though he certainly had that, but because of clean, complete technique. Not only did he do crisp double tours but his leap was surprisingly high (he looked like he could have done another turn or 2) and he landed softly in a tight 5th position.“

Hört, hört! Am Schluss schwärmt lovely Giannina, die insgesamt MacMillans Version vorzieht, vom Dekor des Schlafzimmers: „I want a bedroom like that!“ Hoffentlich findet sie eines Tages auch einen Partner wie Barankiewicz, um es mit ihm zu teilen! Eher ironisch nimmt sich dagegen die Vorankündigung der Vorstellungen im Arizona Daily Star aus, in der die Stuttgarter Tänzer „like German civil servants on a 13-month salary (yes, 13)“ vorgestellt werden. Der Korrespondentin erscheint die Kompanie mit ihren Gagen und ihrem Repertoire „like a dancer‘s notion of paradise. A German paradise, maybe, but it is by no means open only to Germans“. Von irgendwelchen antideutschen Ressentiments ist bisher nichts bekannt geworden. Hoffentlich auch nicht auf den restlichen Stationen der Tournee, die ja in diesen unseligen Kriegs-Zeiten nicht unberechtigt mancherlei Befürchtungen aufkommen lässt. Im Augenblick haben die Stuttgarter zwei Tage lang vorstellungsfrei, bevor es am Samstag in San Diego weitergeht.

Kommentare

Noch keine Beiträge