Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Auch die zweite Vorstellung der „Dritten Sinfonie von Gustav Mahler“ im Baden-Badener Festspielhaus wurde wieder zu einem Ereignis von vergleichsloser Größe und Monumentalität. Beeinträchtigt nur anfangs, wie schon am Abend zuvor, durch die erste Klangattacke aus dem Lautsprecher nach dem so geradezu atembeklemmenden stummen Auftakt. Doch währte der Schock nur eine Schrecksekunde lang, denn die Interpretation der Sinfonie durch Rafael Kubelik mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1967 ist von einer so betörenden „Mahlerhaftigkeit“, umhüllt die choreografische Interpretation von Neumeier wie eine zweite musikalische Haut, dass man sich eine etwa vom Baden-Badener Symphonieorchester live musizierte Wiederhabe von gleicher Qualität kaum vorstellen kann.
Es ist ja gerade diese ungeheure musikalische Stimmigkeit, die dieses Ballett vor den meisten anderen, inzwischen allzu vielen choreografierten Mahler-Vertanzungen auszeichnet. Und so verließ man das Haus nach hundert Minuten pausenlosen Staunens auch an diesem Abend wieder geradezu beklommen – mit nostalgischer Erinnerung an das so wundersam die Sinne gefangen nehmende Posthorn-Intermezzo des dritten Satzes, in so zärtlicher Zuneigung ausgeführt von den beiden Paaren Hélène Bouchet und Ivan Urban, Adéla Pollertová und Sébastien Thill – in Erinnerung auch an die den Schatten von Marcia Haydée so geradezu greifbar beschwörende Laura Cazzaniga im vierten Satz und, gar nicht nostalgisch gestimmt, an Alexandre Riabkos mit so vitaler Lebenslust explodierende Sprünge.
Und ich hätte gern vierundzwanzig Stunden später nochmals die Strapazen einer Autofahrt im Wochenendverkehr nach Baden-Baden auch zur dritten Vorstellung der Mahler-Sinfonie auf sich genommen, lockte da nicht bereits wieder ein anderer Termin in Ludwigsburg. Immerhin: zweimal hintereinander von Neumeier und seinen süperben Hamburgern in ein Stadium derartiger Mahler-Trunkenheit versetzt worden zu sein, verdient eine in kursiven Lettern erfolgende Eintragung in oes Buch der Rekorde! Die Hamburger äußern sich beglückt über die Zusammenarbeit mit der Baden-Badener Direktion und die Möglichkeit einer dreiwöchigen Residenz, die ihnen die Chance zu einer ungestörten Probenarbeit bietet, in der letzten Woche dann sogar mit komplettem Bühnenbild, wie sie im regulären Opernhaus-Betrieb nie gegeben ist.
Von kollegialer Seite werden allerdings auch Bedenken laut. Nicht aus Neid auf die idealen Probenmöglichkeiten, sondern weil hier ein Präzedenzfall geschaffen wird, der die Gefahr heraufbeschwört, dass die Probentermine für künftige Produktionen im eigenen Haus reduziert werden könnten, weil ja Baden-Baden bewiesen habe, dass man so den eigenen Betrieb entlasten könne. Ein Einwand, der nicht von der Hand zu weisen ist! Übrigens noch etwas ganz Anderes von den Gesprächen, die am Rande geführt werden – nicht nur in Baden-Baden, wo sich diesmal dank der pausenlosen Vorstellungen kaum Gelegenheit dazu bot.
Interessant war mir dabei zu erfahren, dass Renato Zanella, der bekanntlich vollauf mit seiner Arbeit an einer Lipizzaner-Choreografie beschäftigt ist und für 2005 ja seinen Rückzug aus der Wiener Staatsopern-Ballettdirektion angekündigt hat, maßgeblich bei einem neuen Openair-Festival am Wörther See beteiligt sein wird, hinter dem der politisch so umtriebige Kärntner Jörg Haider steht. Wenn ich mir vorstelle, dass sich das dortige Seebühnen-Festival im Gegensatz zu Bregenz mit seiner Opern-Dominanz (und zu Mörbisch als Operetten-Festival) als neues Ballett-Festival profilieren könnte, scheint mir das eine nicht unattraktive Idee – zumal da ich beste Erinnerungen an meine diversen Bade-Urlaube am Wörther See habe. Wie wär‘s denn, wenn Zanella dort als spektakuläre Eröffnungsproduktion ein Unterwasser-Ballett für Seepferdchen choreografieren würde?
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