Die Noverre-Gesellschaft präsentiert Junge Choreografen

oe
Stuttgart, 17/07/2003

Wenn es denn wirklich die 47. Veranstaltung der 1958 gegründeten Stuttgarter Noverre-Gesellschaft Freunde des Balletts gewesen sein sollte, geht sie mit rapiden Schritten auf ihr fünfzigstes Jubiläum zu. Weswegen man sich schon Gedanken darübermachen sollte, wie man denn dieses Ereignis entsprechend würdigen könnte. Wie wär‘s denn beispielsweise mit der Stiftung eines Fritz-Höver-Preises für den jeweils talentiertesten Nachwuchschoreografen (und vielleicht gleich noch eines zweiten Preises, über dessen Vergabe das Publikum zu entscheiden hat). Denn dann könnte man schon heute mit der Suche nach einem oder mehreren Sponsoren beginnen.

Jedenfalls war‘s das erste Mal, dass ihr Gründervater, der verdienstvolle Fritz Höver, altersgeplagt, nicht dabei sein konnte. Dass sie gleichwohl so routiniert wie eh und je über die Bühne ging, beweist nicht zuletzt, welch ein hoch motiviertes Mitarbeiter-Team Höver in diesen Jahrzehnten um sich geschart hat, welches das von ihm noch selbst konzipierte Programm ganz in seinem Sinne realisierte. Und so ging´s gleich los mit der Vorstellung eines neuen Choreografen: des als Tänzer der Kompanie ausgesprochen geschätzten Robert Conn, der Stuttgart am Ende der Spielzeit mit seiner Frau Yseult Lendvai leider wieder verlässt. Leider, denn er erwies sich mit seinen „Errant Paths“ auf Anhieb als ein Mann von Witz und Esprit, der seine beteiligten sieben Kollegen von ihrem ersten Auftritt als Schatten an ganz schön am Gängelband ihrer Aufseherin Ludmilla Bogart zappeln ließ. So dass wir ihm gern einen Empfehlungsbrief als Choreograf für Video-Clips bei MTV mit auf den Weg geben.

Nach diesem gelungenen – wenn vielleicht auch etwas langem – Auftakt hatte es Alexander Makaschin in seinem „Denial of service“ (immer wieder, wie auch überwiegend im Folgenden, diese fremdsprachigen Titel) schwer, seine zwei Paare sich nicht in den Bändern ihres Sparring-Gevierts verheddern zu lassen. Wohingegen Rolando d‘Alesio sich in seinen „Blanket of Clouds“ auf seine beiden exquisiten Interpreten Katja Wünsche und Jason Reilly verlassen konnte, dass sie gleich von ihren Rückenmuskel-Spielen an konzentriert die Aufmerksamkeit auf ihren Umgang mit dem Gymnastik-Ball lenkten, der sie offenbar auf Wolke sieben transportierte. Noch vor der Pause heimste dann Alexander Zaitsev als tanzender Chansonnier seines eigenen „La Chanson“-Solos (dank der Mithilfe Edith Piafs) mit seinem pfiffigen Garçon-Nonchalance-Charme den meisten Applaus ein.

Ganz von Orffs „Carmina Burana“-Energierhythmen gespeist, schickte Selatin Kara seine drei Tänzerpaare in ihr „Fortuna“-Rennen, die mit ihren kraftvollen Drehsprüngen und fabelhaft getimten Rotationen über die Bühne fegten, als wäre ihnen die Musik als geheimer Motor eingesetzt. Exquisit dann die nicht sonderlich originellen, aber fein ziselierten „8 Duos for two Dancers“ von Marc Spradling als Bartók-Miniaturen für Bridget Breiner und Douglas Lee. Mit ihnen hatte der Choreograf offenbar wie ein Bildhauer zusammengearbeitet, ihre perfekt durchgestylten Körper in immer neuen Konstellationen quasi aus dem Marmor der Musik herausmodellierend. Wonach Wieslaw Dudek mit seiner „Guten Fahrt“ für Magdalena Dziegielewska und sich selbst das Capriccio einer Autospritztour als Scherzo vor dem Grand Finale lieferte, locker und mit viel Getöse wie bei einer Trabi-Parade.

Und dann also zum Schluss der mit großer Spannung erwartete 31-jährige Wuppertaler, inzwischen in Stuttgart ansässige Marco Goecke mit seinem soeben in Hamburg preisgekrönten „Blushing“ für vier plus vier Tänzerinnen und Tänzer. Ganz im Gegensatz zu seinem Titel liefert das Ballett wahrlich keinen Anlass, schamhaft rot zu werden (wie es sein Titel verhieß). Sondern eher eine freche Collage von abgründigem Humor – und entschieden die pointenreichste Choreografie des Abends mit nicht nur einem, sondern gleich zwei Knalleffekten: dem Pistolenfinger am lautlosen Abzug und dem Herumrutschen auf dem Hosenboden als potenzieller sechster Ballettposition. Dem Burschen mangelt es wahrlich nicht an Einfällen – vielleicht versucht er sich demnächst mal an einer Krimigroteske!

Kommentare

Noch keine Beiträge