Die Pläne des Stuttgarter Balletts 2003/04

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Stuttgart, 11/06/2003

Im Gegensatz zu der maroden Bausubstanz des Hauses scheint das Fundament des Repertoire- und Kompanieaufbaus des Stuttgarter Balletts in bester, Verfassung. Denn was auf der heutigen Spielplankonferenz der Stuttgarter Staatstheater das Quartett der vier verantwortlichen Chefs über die fortschreitenden Schäden im Großen Haus und Schauspielhaus nebst den diversen Proben- und Verwaltungsgebäuden verlauteten, musste einem Angst und Schrecken einjagen und lässt sich wohl am besten unter der Überschrift „Einstürzende Altbauten“ zusammenfassen.

Das klang so bedrohlich, dass wir froh sein müssen, wenn dort überhaupt noch Vorstellungen stattfinden – und in was für einer Qualität! Wir können wirklich von Glück sagen, dass wir einen so fabelhaften Baumeister beim Stuttgarter Ballett haben: Reid Anderson, der nicht ohne Stolz bekannt gab, was die Kompanie so alles in den kommenden Monaten plant. Los geht´s bei den Premieren gleich mit einer Paukenschlag-Uraufführung: Christian Spucks abendfüllender „Lulu, Eine Monstretragödie“ Anfang Dezember. Vorher gibt es natürlich schon diverse Wiederaufnahmen, zum Teil in neuer Kombination. Und gleich danach, zwanzig Jahre nach der Stuttgarter Uraufführung, John Neumeiers „Endstation Sehnsucht“ – etwas für die Nostalgiker, die ja mit Sicherheit wieder ihren glasigen Blick bekommen werden, wenn sie sich an Marcia Haydée und Richard Cragun erinnern.

Natürlich gibt‘s auch wieder „Schwanensee“, „Romeo und Julia“, „Der Widerspenstigen Zähmung“ und die offenbar unvermeidliche „Giselle“. Die nächste Premiere nennt sich dann „Tanzsichten II“ und verspricht drei Uraufführungen von Mauro Bigonzetti, Douglas Lee und Itzik Galili. Balanchines hundertsten Geburtstag holt die Kompanie dann Mitte Juli nach – mit Wiederaufnahmen von „Apollo“ und „The Four Temperaments“, dazu die lange überfällige Stuttgarter Erstaufführung von „Serenade“. Unter den Wiederaufnahmen vermisse ich Robbins‘ „Dances at a Gathering“, sicher der substanziellste Neuerwerb der Spielzeit 2002/03 – doch nehme ich an, dass die wohl dann in der übernächsten Saison wiederkehren werden.

Natürlich hat man so seine persönlichen Wünsche. Und da hätte ich gern mal wieder ein Comeback Béjarts gesehen –am liebsten mit „Gaîté Parisienne“. Und dann bin ich gespannt, was Anderson denn als nächsten Klassiker plant – hoffentlich nicht gerade „Nussknacker“, „Coppelia“ oder „Cinderella“. Wie wär‘s denn mit „Le Corsaire“ (bei dieser fabelhaften Jungen-Equipe, über die das Stuttgarter Ballett heute verfügt – natürlich mit Filip Barankiewicz als Piratenhäuptling Conrad). Dass Daniela Kurz mit ihren Nürnberger Tänzern an zwei Abenden in Stuttgarter gastieren wird, finde ich prima (ich hätte auch ganz und gar nichts dagegen, wenn Anderson wieder mal eine Kreation bei ihr bestellen würde).

Als einzige andere Kompanie ist das Tokyo Ballett eingeladen – das haben wir ja nun wirklich schon oft genug in Stuttgart gehabt, da hätte es zur Abwechslung ruhig mal etwas Anderes sein dürfen. Was die Personenliste angeht, so freue ich mich schon auf die Rückkehr von Julia Krämer und natürlich auf den schon viel zu lange ausgefallenen Friedemann Vogel. Bestätigen wird sich übrigens das Gerücht, dass Maria Eichwald aus München nach Stuttgart kommt – zwar erst zum 1. Januar 2004, aber immerhin (wenn ich mich nicht täusche, ist es seit Jahren das erste Mal, dass eine auswärtige Tänzerin als Erste Solistin engagiert wird). Ganz bestimmt vermissen werde ich Robert Conn und den immer so liebenswert-hilfsbereiten Rainer Woihsyk sowie Yseult Lendvai.

Eine ganz besonders ehrenvolle Gastspieleinladung hat John Neumeier ausgesprochen, wenn er das Stuttgarter Ballett zur Gala anlässlich seines dreißigjährigen Wirkens in Hamburg eingeladen hat, wo es dann mit den Kompanien des New York City Ballet, des Mariinsky-Balletts, des NDT und des Béjart Balletts aus Lausanne konkurrieren wird. So kann man also sehr wohl behaupten, dass Reid Anderson sein Stuttgarter Balletthaus bestens bestellt hat – sehr zum Neid so vieler anderer Städte! Wir freuen uns jedenfalls auf die neue Spielzeit!

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