Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Ein Novum nicht nur auf dem Ballettgebiet, sondern der deutschen Theaterpraxis: dass eine große neue Produktion einer unserer Staatstheaterkompanien in der Probenschlussphase drei Wochen lang nicht am Uraufführungsort, sondern abseits, in der sogenannten Provinz, erarbeitet und dort auch in ein paar Voraufführungen getestet wird, damit bis zur Premiere noch daran gefeilt werden kann. Das geschieht derzeit im Baden-Badener Festspielhaus, wohin das Hamburger Ballett für drei Wochen übergesiedelt ist, zur Vorbereitung von John Neumeiers neuem abendfüllenden Ballett „Tod in Venedig“, das vom 28. November an in drei Vorstellungen in Baden-Baden zu sehen sein wird, bevor dann am 7. Dezember in Hamburg die eigentliche Premiere stattfindet.
Zum Auftakt tanzen die Hamburger im Baden-Badener Festspielhaus drei Vorstellungen der Wiederaufnahme von John Neumeiers Ballett „Dritte Sinfonie von Gustav Mahler“, die am Eröffnungsabend ein triumphaler Erfolg wurde. Tatsächlich wirkt das Ballett, 1974, vor fast dreißig Jahren Neumeiers entscheidender Hamburger Durchbruchserfolg, auf der enormen Baden-Badener Bühne noch großartiger, ja monumentaler als ich es in Erinnerung hatte. Es hatte bekanntlich seinen Ursprung in der Kreation seines vierten Satzes der Sinfonie unter dem Titel „Nacht“ in einer John Cranko gewidmeten Memorial-Gala, damals getanzt von Marcia Haydée, Egon Madsen und Richard Cragun, bevor Neumeier es dann für Hamburg um die restlichen Sätze ergänzte.
Als erstes seiner großen Mahler-Ballette und als konzertantes, handlungsloses, hundert pausenlose Minuten dauerndes Ballett, das allein dem Diktat der Musik gehorcht, ist es eins der Meisterwerke der zweiten Jahrhunderthälfte, das im Kanon der Mahler-Ballette gleichwertig neben Anthony Tudors „Dark Elegies“, Kenneth MacMillans „Lied von der Erde“ und Maurice Béjarts „Lieder eines fahrenden Gesellen“ seinen Platz behauptet. Es überzeugte nach fast dreißig Jahren auch in Baden-Baden wieder durch seine strenge und ernste Musikalität, seine wunderbare Klarheit und Schönheit, seine Schlichtheit und seine so ungeheuer beredsame Schweigsamkeit, nicht zu reden von seinem choreografischen Reichtum und seiner überwältigenden Großraumarchitektur. Es ist ein Ballett von einer einsamen stillen Größe und wieder einmal mutmaßt man, wie viel von Neumeiers eigener biografischer Erfahrung darin verarbeitet ist – besonders im Schlusssatz, mit dem einsam im Hintergrund sich zurückziehenden Protagonisten, während vorn die Ballerina ebenso einsam ihren Weg an der Rampe entlang zieht.
Die Hamburger – inzwischen eine ganz andere Generation – tanzen es mit einer konzentrierten Expressivität, die total verinnerlicht erscheint und auch die kompliziertesten Kombinationen in einen unendlich strömenden Fluss bettet. Es ist eine Kompanie aus einem Guss, die eine geradezu balsamische Ruhe verströmt, in einer Produktion, die die Solisten – Jiří und Otto Bubeníček, Alexandre Riabko, Elizabeth Loscavio, Carsten Jung, Ivan Urban, Heather Jurgensen und Silvia Azzoni – wie aus der Masse geboren und wieder in sie eintauchend ganz organisch vereinnahmt. Eine großartige Kompanie, die geradezu ehrfürchtigen Respekt abnötigt!
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