Meg Stuart mit „Visitors Only“ im Schiffbau

oe
Zürich, 10/05/2003

Ein Event, an dem mir so ziemlich alles zuwider ist: der englische Titel „Visitors Only“, der Name der Kompanie (Damaged Goods – die ich partout, ich kann mir nicht helfen, Damaged Gods lese), das prätentiös deutsch-englische Gelabere im Programmheft (könnte glatt vom Hausdramaturgen des Stuttgarter Hauschoreografen stammen). Auch, Anna Viebrocks Bühnenraum kommt mir sattsam bekannt vor aus ihrem Immobilien-Versandkatalog – hier ein zweistöckiges, als Bauruine aufgegebenes Haus mit nicht fertiggestellten Wohnräumen, in denen obdachlose Vandalen mit einer Kettensäge am Werk waren. Ein Geisterhaus sozusagen, beschallt mit ohrenbetäubendem Lärm, live produziert von Paul Lemp und Bo Wiget an ihren Computern, belebt durch Video-Projektionen von Chris Kondak, zugequasselt mit Texten von Tim Etchells – in Englisch, schwyzerdütsch, Esperanto – ich weiß nicht was! Von der als Choreografin hoch gehandelten Meg Stuart mit einer gut zweistündigen Szenen-Collage bestückt, die unzweifelhaft ihre Fantasie im Aussinnen immer obskurerer Bewegungssequenzen Amok laufen lässt – nicht bis zum Geht-nicht-mehr repetiert, sondern noch darüber hinaus bis zum Geht-immer-noch weiter. Bevölkert von acht Tänzer-Sänger-Sprecher-Schrei-Darstellern, für deren Virtuosität kein Lob zu hoch gegriffen ist, gemäß einem szenischen (choreografischen?) Arrangement, das minuziös durchkalkuliert ist.

Lauter schräge, ausgeflippte Typen, vollgestopft mit Crack und Ecstasy. Ich staune Bauklötze, verstehe nichts, bin hingerissen-angewidert, bewundere die Cleverness, die für die Produktion eine Kollaboration mit dem Schauspielhaus Zürich, der Berliner Volksbühne, dem Pariser Théâtre de la Ville, dem Brüsseler Kaiitheater und dem Productiehuis Rotterdam mobilisiert hat. Mit der finanziellen Unterstützung der Regierung von Flandern und der Flämischen Gemeinschaftskommission nebst der In-Residence-Einladung des Zürcher Schauspielhauses. Und ich registriere schlicht und einfach, dass ich offenbar in einer anderen, vielleicht ja schon vergangenen Welt lebe, als ein Bewohner, der 24 Stunden zuvor aus einer „Onegin“-Vorstellung nach Hause gegangen bin, zutiefst in meinem emotionalen Erlebniszentrum berührt, während mich heute allein meine Kritikerpflicht dazu veranlasst hat, auszuharren, denn wenn ich als Privatperson meine Karte bezahlt hätte, wäre ich wohl schon nach einer Viertelstunde gegangen – nicht deprimiert, nicht verstört, nicht nachdenklich und auch nicht verärgert, sondern lediglich hinterher bedauernd, zwei kostbare Stunden meines nicht gar so lange mehr währenden Lebens vergeudet zu haben.

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