„Onegin“ beendet Stuttgarter Ballett-Fastenzeit

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Stuttgart, 09/05/2003

Acht Wochen, gleich zwei vollständige Ramadan-Längen, musste Stuttgart ohne seine geliebte Kompanie auskommen! Doch nun ist sie wieder da, heimgekehrt aus den USA. Nicht ganz so glorreich, wie wir es uns seinerzeit, bei ihrem Aufbruch über den Atlantik, vorgestellt hatten. Doch was scheren uns hierzulande, an der Heimatfront, vier abgesagte New Yorker Vorstellungen, da wir sie wieder bei uns haben. In alter neuer Frische sozusagen, mit dem inzwischen 38 Jahre jungen „Onegin“, der über die Bühne des Großen Hauses stob, stimuliert von James Tuggle und den sich voll ins Zeug legenden Stuttgarter Staatsorchestralen. Mit einem dramatischen Elan, dass die Funken nur so knisterten, belohnt vom Applaus des hin- und mitgerissenen Publikums – in der ersten von gleich drei hintereinander angesetzten Vorstellungen an zwei Tagen, und das in unterschiedlichen Besetzungen – gleichsam zur Bekräftigung der Stuttgarter Moral: Schaut her, wozu wir imstande sind!

Und sie tanzen, als ob die strapaziöse Tour ein einziger langer Urlaub gewesen sei – und stecken mit ihrer sonnentrunkenen Gutgelauntheit unweigerlich die zwölfhundert Glücklichen an, die dankbar sind, überhaupt eine Karte für die natürlich – natürlich? – ausverkaufte Vorstellung ergattert zu haben! An diesem Abend also mit Ivan Gil Ortega als Onegin, unter dessen anfänglich so kalter Borniertheit ein wahrer Vulkan an ungelebter Leidenschaftlichkeit schwelt – mit Alicia Amatriain als Tatjana, die in ihren wenigen glückserfüllten Momenten einen Accent aigu auf ihre kristallinisch funkelnden Enchaînements setzt, um in ihrem großen Pas de deux mit Wieslaw Dudek als Fürst Gremin deren Umkehr als Accent grave ihrer reifen Dankbarkeit wenn schon nicht ihrer Liebe zu tanzen – mit Oihane Herrero als vor Lebenslust schier berstender Olga und Filip Barankiewicz als einem zunächst ganz im Glücksgefühl schwimmenden (und eben darum dann in abgrundtiefe Depression fallenden) Lenski, endlich heimgekehrt auf sein russisches Landgut während der Semesterferien von der Göttinger Universität: „Welche Wonne“ (um mit Mozarts Blondchen zu jubilieren) „welche Lust herrscht nunmehr in meiner Brust!“ Ach, wie schön, dass ihr wieder da seid! Bitte noch viele Vorstellungen von dieser stimulierenden Joie de vivre (lediglich eingetrübt durch die Erinnerung an einen Freund, der an diesem Abend, den er so sehr genossen hätte, nun nicht mehr dabei sein konnte: Bernd Krause).

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