Eine getanzte Tragödie
„Recycling Medea“ ist ein Film von Asteris Kutulas. Mikis Theodorakis und Renato Zanella steuerten Musik und Choreografie bei.
Vor einer Woche sickerte durch, dass Renato Zanella nach der nächsten Spielzeit im Sommer 2005 als Ballettchef der Wiener Staatsoper zurücktreten wolle. Der Grund: eine von Staatsoperndirektor Ioan Holender abgegebene Erklärung, dass er im Zuge seiner eigenen Vertragsverlängerung bis 2010 eine Reorganisation des Balletts plane, dem künftig kein Choreograf mehr vorstehen solle (siehe tanznetz.de, news vom 16.10.).
Inzwischen hat Zanella in der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ vom 22.10. seinen Entschluss ausführlicher kommentiert (siehe tanznetz.de, kritiken vom 23.10.). Darin heißt es „Es ist eine zu Ende gegangene Beziehung, eine Ehe, die kaputtging. Meine Entscheidung zu gehen hat mit meiner Sorge um die Zukunft des Balletts hier zu tun, die mir mangels Kommunikation unbekannt ist. Nach den Erfolgen, die wir hatten, hätte ich mir Feedback von Direktor Holender gewünscht. Ich habe sehr wohl nach der Zukunft gefragt, aber keine Antwort bekommen. Es gibt eine klare Programmierung für die Oper, nicht aber für das Ballett.“
Einigermaßen erstaunt liest man weiter, dass sich nach Zanellas Meinung der Ruf des Wiener Staatsopernballetts in den vergangenen Jahren entscheidend gebessert habe: „Wenn man das Image festmachen kann an der Zahl der Einladungen für Gastspiele, dann haben wir einen sehr guten Ruf. Ich wollte zu allen großen Festivals, und das haben wir geschafft.“ Ist Zanellas Realitätsverlust derart weit fortgeschritten? Gastspiele bei allen großen Festivals? In Salzburg, Edinburgh, Avignon, Aix-en-Provence, Berlin, Prag, New York? Nicht, dass ich wüsste! Allein an eine Einladung zum Bonner Beethoven-Fest kann ich mich erinnern. Und der sehr gute Ruf? Etwa seit seinem „Spartacus“ vom Vorjahr? Genau das Gegenteil ist der Fall!
Ist heutzutage außerhalb von Wien überhaupt noch jemand am Wiener Staatsopernballett interessiert? Wir als Journalisten wissen ein Lied davon zu singen: Wiener Ballettpremieren sind inzwischen derart uninteressant, dass keine unserer Zeitungen mehr bereit ist, darüber zu berichten. Kein Wunder, wenn man sich das Programm der letzten Premiere „Choreografische Welten entdecken“ mit Revivals von Forsythe und Kylián und als einzige Uraufführung Patrick C. Delcroix' „Silence sans reproche“ ansieht. Was hätte es da für auswärtige Ballettfreunde zu entdecken gegeben? Und in der laufenden Spielzeit? Glaubt Zanella im Ernst, dass jemand außerhalb Wiens an der Wiederaufnahme der „Puppenfee“ interessiert sein könnte? Für das Ausland jedenfalls scheint die österreichische Ballettszene derzeit bereits in St. Pölten zu enden.
Wenn es aber in Zukunft keinen Choreografen mehr als Ballettchef in Wien geben soll – wen denn dann? Wieder einen administrativen Direktor à la Gerhard Brunner? Zu dessen Zeit war noch fast jede Wiener Ballettpremiere ein Zwangstermin für die ausländischen Berichterstatter. Erhofft man sich erneut die Rettung von einem international erfahrenen Wiener Kritiker? Der vielleicht ja auch eine Kritikerin sein könnte?
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