„Report on giving birth“

Das Living Dance Studio aus Peking auf Kampnagel

Hamburg, 22/10/2003

Wären da nicht die chinesischen Gesichter, die helle, hoch klingende Sprache mit ihren sehr fremdartigen Lauten, die Produktion „Report on giving birth“ könnte von jeder x-beliebigen Tanztheatertruppe stammen: Globalisierung gleich Glättung der Unterschiede. Allerdings stünde hier zu Lande kaum das Thema selbst in dieser Ausprägung auf dem Programm, denn die Geburt scheint in dem Teil der chinesischen Gesellschaft, den die Darstellerinnen/Tänzerinnen des Pekinger „Living Dance Studio“ vertreten, noch ein Tabu zu sein, gänzlich anders als in der „aufgeklärten“ westlichen Welt. Aus der Achselhöhle sei sie gekommen, habe die Mutter ihr gesagt, berichtet eine Frau. Einer anderen wurde erzählt, sie sei auf einer Müllhalde gefunden worden. Aufklärung habe nicht stattgefunden. Die 1994 gegründete Gruppe gastiert auf Kampnagel, Hamburgs alternativer Spielstätte, als Teil des Projekts „Public Space and Personal Eye (A new vision in China)“, in dessen Rahmen drei Wochen bis Ende Oktober außerdem Fotos und Filme gezeigt und Vorträge über Aspekte der kulturellen Situation in China gehalten werden.

Die Choreografin und Regisseurin Wen Hui lässt die Zuschauer von einem Spielfeld zum nächsten wandern, dicht an den Protagonisten, die Anstoßen, Berührungen nicht scheuen, auch mal durch die Publikumsreihen gehen. Zu Beginn umsteht die Menge vier Frauen an einem Tisch, die mitten in angeregter Unterhaltung sind und dabei Sonnenblumenkerne knabbern. Von dort spannt sich der manchmal ziemlich brüchige Bogen bis zum Schlussbild, bei dem sich die Frauen gänzlich in weiße Decken wickeln, eine über ihre Füße miteinander verklammerte längliche Form bilden, nach und nach ans hintere Ende der größten Spielfläche rollen. Raumgreifend getanzt wird nicht, die Bewegung vollzieht sich meist am Platz verharrend. Eine windet sich auf dem Tisch, von unten angeleuchtet mit rotem Licht, das sich auf ihrem Unterleib abzeichnet: Blut der Menstruation? Masturbation? Zwei Frauen auf einer Bettstatt finden immer neue, erotische getönte Verknotungen - sie sehen wie die Frucht von noch nicht ausgereiften Improvisationen aus. Eine Frau erzählt von ihren tagelangen Wehen, windet sich dabei kopfunter rücklings die Lehne hoch, legt sich seitwärts auf die Sitzfläche, kriecht in die Lücke zwischen Sitzfläche und Lehne, immer weiter, immer atemloser sprechend. Parallel dazu wäscht sich an anderer Stelle eine Frau sorgfältig ihre Haare, daneben sprühen aus einer Toilette Wasserfontänen.

Fast körperlich spürbar wird die Zähigkeit der Frauen, denen über 70 Minuten nicht die Puste ausgeht, die jede Szene ausreizen, gewissermaßen Überlebenstraining durchdeklinieren. Eher läppisch, weil längst als Effekt ausgelutscht, wirken die Live-Aufnahmen, bei denen ein Mann jeweils einer Frau die Videokamera vorhält, sie bis hinter die Bühne verfolgt. Das Bild wird auf eine große Leinwand geworfen. Alles fügt sich zusammen zu einer eigentümlichen, durchaus faszinierenden Mischung aus sichtbarem Kalkül auf Effekte, intensiver Hingabe und Überzeugungskraft sowie fast quälendem Sendungsbewusstsein. Erscheinen die Gesichter der interviewten Mütter auf der Filmleinwand oder berichten die Darstellerinnen/Tänzerinnen Wen Hui, Feng Dehua, Wang Mei, Wang Ya´nan, He Zhumei, welcher Art ihre Geburt (zu Hause, im Krankenhaus, schwer, leicht) war, dann beschleicht mich das Gefühl, einer Art Peepshow zuzusehen: Es wird persönlich, privat - und nicht unbedingt spannend. Sicher ist das eine Provokation im eigenen Kulturkreis, also in China. Dort hat die Gruppe nicht einmal einen eigenen Probenraum, wie zu lesen ist, sie dürfte also kaum auf der offiziellen Parteilinie liegen.

Eigentümlicherweise wirkt die bereits 1999 entstandene Produktion „Report on giving birth“ sehr viel stringenter, einfallsreicher, schlüssiger als der eine Woche vorher auf Kampnagel gegebene „Report on body“, 2002 geschaffen. Letztere zerfiel in isolierte Einzelszenen, ohne im Geringsten die im Einführungstext behauptete „Ambivalenz des körperlichen Potenzials zwischen Gewalt und Poesie meisterhaft auf die Bühne zu bringen“. Vielleicht eine Folge der schlechten Arbeitsbedingungen.


Nächste Vorstellungen von „Report on giving birth“: 25./29./30.10. Informationen auf www.kampnagel.de

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