Viel Mode, wenig Substanz

Jean Christophe Maillots „Cendrillon“ in der Ballettwoche zu Gast

München, 25/03/2003

Viel Prominenz rauschte zur Eröffnungsvorstellung der diesjährigen Gast-Compagnie „Les Ballet de Monte Carlo“ ins Nationaltheater, darunter Erbprinz Albert von Monaco, im Zentrum des Interesses aber I.K.H. Caroline, jetzt Prinzessin von Hannover, die Schirmherrin der von ihrer Mutter Fürstin Gracia Patrizia gegründeten Truppe, an der Seite ihres Gatten Ernst August von Hannover. Im Schlepptau viele Zelebritäten von Fürstin Gloria über Karl Lagerfeld bis Gunther Sachs, begrüßt von Staatsminister Hans Zehetmair, Sir Peter Jonas und Ivan Liška sowie weidlich gefilmt auf der Freitreppe und im Königssaal. Schließlich begann die Vorstellung...

Jean Christophe Maillot, einst gleichzeitig mit Ivan Liška Tänzer bei John Neumeier in Hamburg, hat eine toll trainierte Compagnie von langbeinigen Tänzerinnen und Tänzern mitgebracht, die man sich genauso auf den Laufstegen der Welt vorstellen kann. Er hat in Ernest Pignon-Ernest, der große Buchseiten als Projektionsflächen oder Spiegel über die Bühne fahren lässt, und in Jérôme Kaplan, dessen Kostüme sowohl Witz als auch Chic und Sexappeal vermitteln, auch interessante Ausstatter. Sein Cendrillon ist in der Handlungsführung abstrakter als Neumeiers A Cinderella Story, zeitgeistiger - nicht mit einer so komplexen Psychologie, aber mit hoher Dynamik die musikalischen Impulse von Prokowjeff nutzend. Obwohl in exquisit modischem Design vorgetragen, problematisiert das Stück über weite Strecken die Exklusivität der Mode und ist - allerdings ohne den richtigen Biss - seiner monegassischen Herkunft adäquat.
Maillots glamouröses Aschenputtel-Märchen beginnt mit einer schönen Reminiszenz Cendrillons an ihre gestorbene Mutter, wie die mit Vater auf ihrem letzten Ball getanzt hat. Und dieser Pas de deux hatte wirklich Klasse, denn mit Bernice Coppieters sah man eine Ausnahmetänzerin, die in Chris Roelandt einen seine Rolle hervorragend ausfüllenden Partner hatte. Aber schon der erste Blick auf Cendrillons neue Familie mit der Stiefmutter und ihren Töchtern machte klar, dass Maillot nicht vorhat, die Handlung poetisch überhöht zu zeichnen, sondern ganz real in ihrer alltäglichen Härte. Durch schrägen Overdrive soll das zu einer verrückten Satire werden. Auch das ist interessant - und gut getanzt. Wenn die Besessenheit auf Schönheit aber Thema wird und von Spaßabgeordneten, grotesken Modell-Figurinen und allen Teilnehmern an Probeball und eigentlichem Ball endlos penetriert wird, läuft Maillots Inszenierung ins Leere. Dass nämlich Cendrillons Initiation hauptsächlich darin besteht zu lernen, sich auch schön zu machen, ist wohl zu wenig. So konnte Aurélia Schaefer in der Titelrolle kaum über das Backfisch-Stadium hinauskommen. Vollends keine Konturen gewann der stets ungehaltene Prinz (Asier Uriagereka) zwischen seinen vier Freunden. Auch das in Hochglanz inszenierte Schuh-Motiv war ohne dramaturgische Plausibiltät. So musste man sich während der repetitiven, eher sportiv anmutenden Revue mit dem erfreulichen Anblick Bernice Coppieters - in ihrer Doppelrolle als Mutter/Gute Fee immer präsent - über Wasser halten, bis das versöhnliche Ende wieder des 3. Akts auf die Geschichte der Eltern kam.

Währenddessen schweiften, besonders bei den Lyrismen der Partitur, die Gedanken ab. Was ließ Neumeier an solchen Stellen tanzen? Ist es nicht gerade das Widerständige in seinen Bewegungen, das die Reibung verursacht, aus der Bedeutung entsteht. Warum berührt es weit weniger, wenn so dynamisch-elegant getanzt wird? Ist es vielleicht einfach so, dass im mondänen Klima zwar jede Disziplin möglich ist, aber keine Kunst gedeiht?

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