Viel Sleeping, wenig Beauty

Das neue alte Münchner „Dornröschen“

München, 02/12/2003

Weil die ursprünglich vorgesehene Neuinszenierung durch Anthony Dowell und Ausstatter David Roger den bayerischen Sparplänen zum Opfer gefallen ist, hat Ballettdirektor Ivan Liska einfach das alte Münchner „Dornröschen“ wieder rausgeholt und mit einigen choreografischen Änderungen neu aufpoliert. Aber trotz neuer, heller Beleuchtung merkt man der alten Ausstattung von Peter Farmer ihr Entstehen in den 70er Jahren leider viel zu stark an - alles ist Ton in Ton, meistens Braun, und mit einer fahlen Patina überzogen, die jede Farbe von himmelblau bis rosarot zu einem Einheits-Blass macht. Sogar die Edelsteine im Divertissement des letzten Aktes tanzen Braun in Braun - Smaragd und Saphir waren scheinbar aus. Die Tutus sind dünn und nicht besonders schön gearbeitet, die titelgebenden Rosen wachsen nur als grünlich-dunkle Projektion auf dem Zwischenvorhang. Die Sehnsucht nach einer kräftigen Farbe, nach einem spektakulären Anblick durchzieht den ganzen Abend - in jeder Hinsicht.

Warum also eine so antiquierte Produktion noch einmal ausgraben? Dass bei einem Argument wie Geldknappheit keine Neuinterpretation des Stoffes à la Mats Ek zur Diskussion stand, ist völlig klar. Auch kann man bei einer derart in der Tradition verhafteten Version des Klassikers kaum eine plausiblere Dramaturgie verlangen. Aber um die jetzige Version nicht wie die Notlösung aussehen zu lassen, die sie ist, hätte es mindestens EIN gutes Argument gebraucht, egal aus welcher Ecke - ob brillante tänzerische Leistung oder schönes Märchen für Ballettanfänger. In München aber sind nicht einmal Kater und Kätzchen im dritten Akt richtig lustig, selbst Kinder langweilen sich hier - dieses „Dornröschen“ ist weder funkelndes Virtuosenballett noch romantisches Märchen, seine Figuren wirken künstlich statt lebendig. Beispiel? Wenn der Prinz vermittels der Fliederfee endlich vor dem schlafenden Dornröschen steht, muss er, anstatt zur lebendigen Verkörperung seiner wunderschönen Vision zu eilen, erstmal mit viel pantomimischem Aufwand nachdenken, wie er sie wohl wachkriegt. Als ihm ein Licht aufgeht, deutet er sich mit der „Ahaa!“-Geste an die Stirn und drückt ihr dann den Schmatz auf. Das wirkt nicht unbedingt romantisch. Es sind alte, verschmockte Gesten in antiquierten Kulissen - ob Ivan Liska klar ist, dass er mit solchen Aufführungen das beste Argument liefert, die großen Ballettkompanien auf Grund hoffnungslos überalterter Ästhetik dichtzumachen und nur noch überschaubare moderne Truppen zuzulassen?

Ein feiner „Blauer Vogel“-Pas-de-deux (Maria Eichwald und Lukas Slavicky) reicht ebensowenig wie die ruhige, sanfte Präsenz von Fliederfee Sherelle Charge für ein tänzerisches Ereignis. Denn ansonsten ist keiner richtig gut und keiner richtig schlecht, hier sind nur alle richtig durchschnittlich, angefangen beim Corps de ballet bis hin zum Bayerischen Staatsorchester, das von Myron Romanul laut, breit und sämig dirigiert wird. Die kleinen Wackler, die der ansonsten zuverlässige Roman Lazik im Abschluss seiner Sprünge manchmal einbaut, würden garantiert nicht auffallen, wenn dieser Prinz Désiré nur mehr Charme hätte, wenn er liebenswerter oder märchenhafter wäre. Lisa-Maree Cullum bewältigt das Rosen-Adagio souverän, auch die Balancen klappen schön, der erste Akt gelingt ihr technisch absolut bewundernswert. Aber ihre Aurora hat so gar nichts Mädchenhaftes und Entzückendes - Cullum erzählt kein verträumtes Märchen, sondern tanzt ihren Part als Meisterrolle einer selbstbewussten Ballerina. Zu ihrer Hochzeit im letzten Akt kommt sie nicht als verliebtes Mädchen, sondern als Star des Abends - ihre Variation wirkt geziert und selbstverliebt, zu keinem Zeitpunkt verschenkt sie sich in diesem strahlenden Dornröschen-Lächeln, das ein Publikum in die Geschichte hineinziehen könnte. Nach dem Hochzeits-Pas-de-deux mit ihrem harmlosen Prinzen ist eindeutig klar, wer in dieser Ehe sagt, wo's lang geht. Solche Gedanken sollten einem eigentlich in „Dornröschen“ nicht kommen.

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