Weiß Hamburg eigentlich, was es an Neumeier hat?

oe
Stuttgart, 24/02/2003

Große Aufregung herrscht derzeit in der Hamburger Szene anlässlich der Ankündigung des Staatsopern-Generalmusikdirektors Ingo Metzmacher, dass er seinen Vertrag nicht über die Spielzeit 2004/05 verlängern wolle. Es ist der Tropfen, der das Fass des Überdrusses an der Kulturpolitik der Hamburger Senatorin Dana Horáková zum Überlaufen gebracht hat. Seither vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in den deutschen Feuilletons erbittert über die Hamburger Kulturpolitik debattiert würde – besonders detailliert in der Wochenzeitung DIE ZEIT, die in einer Generalabrechnung mit der Dame aus Prag minuziös alle ihre Defizite und ihren generellen Hang zur Pop-Kultur moniert hat.

In all diesen Auflistungen über die Misere vor allem an den Theatern und in den Museen und bei allen ihren Plänen über die Errichtung neuer Bauten und Institutionen samt Festivals und ihrer Vision eines architektonischen Upliftings des Spielbudenplatzes am Eingang der Reeperbahn durch den skandalumwitterten Jeff Koons fällt auf, dass über eine der wenigen international akkreditierten hansestädtischen Errungenschaften der lokalen Kulturszene mit keinem Wort die Rede ist. Ich meine das Hamburg Ballett und seinen Intendanten John Neumeier, die derzeit Hamburgs Ruhm in Hongkong repräsentieren. Nicht darüber, dass das Hamburg Ballett als Kulturexport Nummer eins die weltweit am meisten gefragte deutsche Ballettkompanie ist – und sein Intendant zu den international am meisten umworbenen Ballettchoreografen gehört, mit seiner nächsten Premiere, einem kompletten Neumeier-Porträt, in drei Wochen beim Bayerischen Staatsballett in München. Woraufhin er schleunigst in Hamburg mit den Proben zu seiner nächsten Kreation beginnen muss, einem neukomponierten abendfüllenden Chopin-Ballett zur Eröffnung der diesjährigen Hamburger Ballett-Tage, nach deren Abschluss die Kompanie schon wieder auf Tournee geht – und zwar mit Neumeiers „Nijinsky“ und seiner „Möwe“ als eins der Top-Ereignisse der Festivitäten anlässlich des dreihundertsten Städtejubiläums von St. Petersburg.

Man stelle sich das nur einmal vor: eine in Hamburg residierende deutsche Ballettkompanie unter ihrem amerikanisch-deutschen Choreografen gastiert mit zwei so durch und durch russisch timbrierten Balletten in St. Petersburg, der Ballettmetropole der Welt – und das in Zeiten, da das deutsch-amerikanische Verhältnis so stark wie nie zuvor in dem halben Jahrhundert., das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen ist, belastet ist. Ja, sind sich die Hamburger – nicht das Hamburger Publikum, wohl aber dessen Kulturbehörden, überhaupt bewusst, was sie an John Neumeier und seiner Ballettkompanie haben? Einem John Neumeier, der darum kämpfen muss, sein privates Ballettmuseum – eine der größten und kostbarsten Sammlungen der Welt, der Stadt Hamburg zum Geschenk zu machen? Dass Hamburg sich anschickt, in die Reihe jener Städte aufgenommen zu werden, in denen der Ablauf der Ballettgeschichte durch die Jahrhunderte fokussiert ist: Paris, St. Petersburg, New York/London – mit noch einem Freiplatz für das neue Jahrtausend, der eben Hamburg heißen könnte. Als Stadt einer neuen, post-Lessingschen Hamburger Dramaturgie, die diesmal keine Schauspiel-, sondern eine Ballett-Dramaturgie wäre?

Aber vielleicht liegt es ja an Neumeier selbst, der schuld daran ist, wenn Hamburg sich so wenig bewusst ist über den historischen und internationalen Stellenwert des Hamburg Balletts und seines Leiters. Vielleicht ist Neumeier ja hoffnungslos falsch positioniert in einer Stadt, die sich eine Dana Horáková als Kultur-Senatorin leistet. Vielleicht sollte er sich endlich einer Gehirnwäsche unterziehen und noch einmal einen Neuanfang riskieren wie seinerzeit mit seiner gloriosen „Josephslegende“ mit Judith Jamison und Kevin Haigen. Vielleicht ist er ja nur noch nicht auf die Idee gekommen, es einmal mit einer heute kulturpolitisch korrekten Superstarbesetzung zu probieren. Wie die aussehen könnte? Natürlich mit Verona Feldbusch als Frau Potiphar und Dieter Bohlen als Erzengel. Und als Joseph? Keine Frage: wer anders käme heute für den fünfzehnjährigen Hirten Joseph in Frage als unser aller vielgeliebter Daniel Küblböck! Alles klar?

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