Plädoyer gegen Rassismus im Tanz
Neu erschienen: die Biografie des kubanischen Tänzers Osiel Gouneo
Es gab viele personelle Veränderungen und Beförderungen beim Bayerischen Staatsballett. Dementsprechend waren viele Rollen in der ersten „Dornröschen“-Vorstellung der neuen Spielzeit neu besetzt. Da sah man neben Vincent Loermans, der, gerade zum Halbsolisten ernannt, als Florestan XIV debütierte, Judith Turos als Königin wieder einmal auf der Bühne und sich selbst zur Frage animiert: Wird ihre langwierige Verletzung zulassen, dass sie, vielleicht innerhalb des „Porträt Hans van Manen“, das ab Februar 2005 im Programm ist, noch eine veritable Abschiedsserie tanzt? Man sah auch Caroline Rocher, Boris Beckers Freundin, erneut an ihrem Arbeitsplatz: Nach ihrem erfreulich unprätentiösen Debut als Lady Capulet, die sie eigenständig elegant und menschlich interpretiert hat, tanzte sie, die ja als Erste Solistin des Harlem Dance Theatre aus New York nach München kam, jetzt erstmals im Corps de ballet. Charmant erarbeitet sie sich den klassischen Stil und absolvierte ambitioniert das sonntägliche Pensum, das nach der Matinee die meisten Tänzer auch zur Abendvorstellung rief.
Die Variationen der Feen waren in eine auf Hochglanz polierte Präsentation durch die Kavaliere der Feen und die Begleiterinnen der Fliederfee integriert. Sauber tanzend debütierte Claudine Schoch als Fee Candide. Die zur Solistin ernannte Valentina Divina beeindruckte als Fee Fleur de farine mit ihrem Feuer und pointiert gesetzten schnellen Füßen. Dann stellte sich mit Séverine Ferrolier in der Rolle der Fee der Freigiebigkeit eine hochkultivierte Tänzerin vor. Die neue Solistin aus Frankreich schöpfte mit schöner Linie sehr musikalisch die Details ihrer getragenen Variation aus und zeigte dabei mit vorzüglich geführten Port de bras, geistiger Wachheit und Eleganz den Schmelz verständiger Anmut. Auch Fiona Evans und Zuzana Zahradniková sind in ihren Variationen gewachsen. Irina Dimova, ebenfalls neu zur Solistin ernannt, hat als Fliederfee technische Sicherheit und damit Überzeugungskraft für ihre Rolle gewonnen. Von Anfang an trieb das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Valery Ovsianikov, der ein schnelles Gergiev-Tempo einschlug, das Geschehen an. Die neue Dynamik – nach der beklagenswert undramatischen Prokofjew-Wiedergabe bei „Romeo und Julia“ ein Genuss – war auch der Carabosse-Szene zuträglich, in der hinter einem geradlinig agierenden Norbert Graf alles plastischer wirkte.
Auch Natalia Kalinitchenko ist erst seit der vorigen Spielzeit in München. Jetzt tanzte sie hier – erstmals frei vom Schatten ihrer Verletzung – eine große Hauptrolle. Mit flinker Fußarbeit und hohen Jetés gewann sie in Auroras Auftrittsvariation viel. Das schaffte sie, indem sie die feinen Nuancen des Ausdrucks in der klassischen Form nutzte, ohne sich neoklassische Freiheiten zu nehmen. Im Rosen-Adagio verband sie die innere Glut mit dem Charme des jungen Mädchens. Auch der Stich an der Spindel, die Sinnestrübung und das Sterben blieben rein in der klassischen Stilisierung und waren völlig glaubhaft. Lukas Slavický gab einen sehr jugendlichen Prinzen, glatt seine Braut vergessend, doch mit Höflichkeit der Konvention sich fügend. Aber sein Désiré bleibt leicht ablenkbar. Die Jagd mag er sowieso lieber, weil die Liebe ihm nichts Elektrisierendes zu bieten scheint. Das ändert sich schlagartig, als die Fliederfee ihm Aurora zeigt. Kalinitchenko vereinte das Flüchtige wie auch die Anziehungskraft dieser Vision, Slavický nahm diese Wirkung auf, beide kommunizierten wunderbar. Während Kalinitchenko in Auroras Variation das Unwirkliche mit dezenter Liebessehnsucht kombinierte, hielt sie sich fern von romantischer Verspieltheit auf dem breiter angelegten Fundament der Klassik – eine weitere Manifestation ihrer Stilreinheit.
Im Pas Fabergé des Hochzeitsaktes lenkte ein sehr musikalischer, mit elegantem Feuer springender Cyril Pierre die hochkarätigen Juwelen Séverine Ferrolier (Debut), Anne Poncet und Valentina Divina. Ferner sah man ein Katzenpaar mit neuem Witz (Isabelle Severs und Martin Blahuta) sowie die gelungenen Debuts vom Kleinem Däumling (Roland Podar) und Blauem Vogel. Letzteren tanzte der neu engagierte Solist Erkan Kurt, leicht und unangestrengt in schöner Höhe fliegend, mit der reizenden Fiona Evans. Der Grand Pas de Deux aber brachte den Höhepunkt einer schon dank des Corps de ballets an Schönheit reichen Vorstellung: bejubelt Slavickýs nicht enden wollende Manege, beglückend Auroras junge Majestät an seiner Seite! Von Kalinitchenkos exqusiter Rollengestaltung, die sie hauptsächlich mit Colleen Scott erarbeitet hat, zeugte auch, wie sie hier die kindlichen Schritte Auroras zitierte und dadurch, im liebevollen Rückblick, die Reife der jungen Ehefrau gewann. Ein wahres Fest die Coda, in der bei Kalinitchenko die Freude dazu kam, der Erfüllung der eigenen hohen Maßstäbe nah zu sein. Welch eine Vorstellung fürs Selbstvertrauen! Mit ihr ist sie richtig angekommen und gehört für mich künftig in die Reihe der faszinierenden Ersten Solistinnen des Staatsballetts.
Besprochene Vorstellung: 24.10.2004, Matinee
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