Kurt Weill: „Der Protagonist“ und „Royal Palace“

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Bregenz, 25/07/2004

Darauf war ich nun wirklich nicht gefasst! Nach Bregenz zur zweiten Vorstellung der diesjährigen Produktion im Festspielhaus gefahren: Kurt Weills „Der Protagonist“ und „Royal Palace“ – beide Opern aus den Mittzwanzigern (wie Weill damals selbst) – nie zuvor, wie von Weill gewünscht, als Doppelgespann in einer Vorstellung gegeben. Ich war 1960 bei der ersten deutschen Nachkriegsaufführung des „Protagonisten“ in Frankfurt dabei. Die gab es damals zusammen mit der deutschen Erstproduktion der Brecht-Weillschen „Sieben Todsünden“ – inszeniert und choreografiert von Tatjana Gsovsky – mit Lotte Lenya als singende Anna und als tanzende Anna II die gerade neunzehnjährige Karin von Aroldingen (inzwischen, wie man weiß, eine der Kustodinnen des Balanchine-Erbes, die in den jüngsten Nummern der amerikanischen Ballet Review Kochrezepte von Balanchine veröffentlicht (im Summer 2004-Heft: Fischsuppe, Heringsstipp und Gänsebraten mit Kartoffelklößen). An den „Protagonisten“ habe ich so gut wie keine Erinnerungen. „Royal Palace“ ist mir noch nie begegnet.

Beide sind Operneinakter sehr unterschiedlichen Charakters. „Der Protagonist“ auf einen Text von Georg Kaiser, „Royal Palace“ von Iwan Goll – beide damals viel diskutierte Autoren, mit ausgesprochenem Zeitgefühl, im Berlin der Wilden Zwanziger. „Im Protagonist“ geht es um den Konflikt von Schein und Sein, mit einer elisabethanischen Theatertruppe, die in einem Dorfgasthaus abgestiegen ist und dort zwei Pantomimen zur Aufführung bringt, die erste lustig-komödiantisch, die zweite tragisch, denn in ihr ersticht der Theaterdirektor seine inzestuös geliebte Schwester, weil er Realität und Bühne nicht mehr auseinanderhalten kann: ein bisschen „Ariadne auf Naxos“, ein bisschen „Der Bajazzo“. Die Handlung ziemlich klamottig, die Musik sehr reizvoll – irgendwo zwischen Busoni, Hindemith und erahnbar bereits der Ernst Krenek des „Jonny spielt auf!“.

Die Inszenierung stammt von Nicolas Brieger – Choreografie: Thomas Stache, der auch mit drei Kollegen von der Berliner Waltz-Truppe beteiligt ist, mir bisher unbekannt. Er dürfte wohl hauptsächlich an den beiden großen Pantomimen-Einlagen zum Zuge gekommen sein. Beide sexuell sehr freizügige Eifersuchtsfarcen im ziemlich krudem Commedia dell‘arte-Stil. Tänzerisch nicht sonderlich ergiebig. Aber dann „Royal Palace“!

Eine Frau mit dem schönen Namen Dejanira, die von drei Männern begehrt wird, die ihr die tollsten Versprechungen machen, ohne doch an ihr Innerstes heranzukommen, so dass sie schließlich von der Terrasse ihres Luxushotels an einem italienischen See ins Wasser geht – eine Art luluhafte Undine. Da überlappen einander viele musikalische Stile aus dem Arsenal der seriösen, aber auch der Tanzmusik jener Jahre, gipfelnd in einem großen Tango. Das ist nun ziemlich kühn, auch sehr verwirrend, ein genialer Multimix aus Oper, Revue, Kabarett, absurden Dialogen und zahlreichen filmischen Ein- und Überblendungen. Und da nun laufen Stache und seine drei Tänzerkollegen zur Hochform auf – nicht nur in einem Ballett der Hotelboys mit den servierten Speisen als Videoprojektionen auf spiegelndem Parkett, sondern auch als Luftartisten (wie vor zwei Wochen bei Gregor Seyffert in Düsseldorf, aber viel raffinierter) und als Schattensilhouetten eines Shiwa-Tanzes und in sonst noch mancherlei Phantasmagorien.

Das hätte ich gern gleich ein zweites Mal gesehen: die Oper (Jahrgang 1927) auf dem Wege zum Multimedia-Spektakel! Unerfindlich, warum die neue Bregenzer Festspieldirektion nicht auf die Idee gekommen ist, den beiden Weill-Einaktern gleich auch noch Weills „Der Zar lässt sich fotografieren“, Opera buffa in einem Akt, anzuhängen – sozusagen als Weills Gegenentwurf zu Puccinis „Trittico“ mit dem „Zar“ als finalem Pendant zu Puccinis „Gianni Schicchi“!

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