Tanzt, Leute, was das Zeug hält!

William Forsythe: „Limb's Theorem“

oe
München, 07/12/2004

Während die Ballett-Binnenkonjunktur in Frankfurt fast zum Erliegen gekommen ist, boomt der Forsythe-Export nach bestem Schröder-Vorbild. Und hat jetzt sogar München erreicht, wo das Bayerische Staatsballett auf dem geheiligten Territorium des Nationaltheaters Forsythes abendfüllendem Dreiteiler „Limb's Theorem“ vom Jahrgang 1990 einen rauschenden Erfolg ertanzte – auch wenn hinterher wohl kaum ein Zuschauer in der Lage war, zu erklären, was denn dieses Theorem der Gliedmaßen zu bedeuten habe. Und alle hatten daran Anteil: Forsythe als Choreograf, der für die Musik zuständige Thom Willems, der für die Bühne I und III verantwortliche Michael Simon, Forsythe auch als Mann für die Bühne II, Forsythe abermals als Kostümentwerfer nebst Forsythe als halber Lichtmann (für die andere Hälfte zeichnete wiederum Simon) – schließlich nicht zu vergessen das Quartett der famosen Einstudierer alias Ana C. Roman, Chris Roman, Noah D. Gelber und Jill Johnson. Höchstes Lob aber gebührt den Münchner Tänzern, die Forsythes 82 Minuten währendes Puzzlespiel der choreografischen Elementarteilchen über die Bühne fetzten, als seien sie alle frisch diplomierte Bachelors der Frankfurter Schule.

Das ergab einen Zweieinviertelstunden-Abend der absoluten choreografischen Korrektheit. Drei Teile – zwei Pausen – dramaturgisch eskalierend. Der erste beherrscht von einem riesigen rotierenden Segel mit variierten Beleuchtungsspots. Der zweite beherrscht von einer wellenförmigen Wand im kaleidoskopischen Licht der mobilen Scheinwerfer. Der dritte schließlich mit einer dominierenden Installation wie ein Weltraumteleskop und allen möglichen herumwuselnden Lichtquellen. Getanzt wird in diesem ständig sich verändernden Raum auf Teufel komm raus – wie gesagt: lauter choreografische Splitter, zusammenzusetzen in der Fantasie des Zuschauers nach eigenem Gutdünken.

Im ersten Teil enorm viel auf Spitze, im zweiten dann auf flacher Sohle, im dritten gemischt in kohärenteren Formationen, die großen Eindruck machen, weil sich hier die Choreografie endlich zu massiveren Ensembles verdichtet. Dazu gibt es die üblichen Soundattacken aus Willems‘ Elektrolabor. Was Münchens Tänzer zwischen diesen plastischen und klanglichen Objekten zu exekutieren haben, und wie sie es exekutieren – wie sie sich überhaupt in diesem offenbar strikt strukturierten Tohuwabohu orientieren und staunenswert synchrone Vorgänge absolvieren, verdient höchste Bewunderung und bodenlosen Respekt. Was mich gleichwohl nicht gehindert hat, völlig kalt aus dieser Münchner Ballettpremiere herausgegangen zu sein – sehr im Gegensatz zur Stuttgarter Strawinsky-Premiere vier Tages zuvor. Aber das lag einzig und allein an mir, der ich an diesem Abend wohl im falschen Theater war. Ich hätte eben doch lieber zur Inauguration der wiedererstandenen Mailänder Scala mit Salieris „Europa riconoscuta“ gehen sollen!

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