Wiederbelebung von „Romeo und Julia“

Natalia Kalinitchenkos Debut

München, 18/11/2004

Es fing gar nicht gut an mit „Romeo und Julia“ am Anfang der Spielzeit, als das Bayerische Staatsballett mit drei glänzend einstudierten Aufführungen von „Porträt Mats Ek“ den ikonografischen Charakter von dessen Choreografien so plastisch wie nie hervortreten ließ, mit John Crankos Signaturstück aber enttäuschte. Jetzt lebt das Stück wieder als die spannende Adaption des Shakespeare′schen Liebes-Thrills, den man sich so adäquat auf einer Sprechbühne heutiger Tage gar nicht mehr vorstellen kann. Das lag nicht nur an der neuen Julia-Darstellerin, denn das Ensemble tanzte lebendiger als vor einigen Wochen.

Bei ihrem Julia-Debut verstand es Natalia Kalinitchenko, aus dem Augenblick heraus klug zu erzählen. Schon in der ersten Szene offenbarte sie zwei Seiten Julias: das verspielte Temperament und die Wohlerzogenheit der Patriziertochter. Sie zeigten sich darin, wie zärtlich – bei allem Mutwillen – sie ihre Amme (Irene Steinbeißer, wie immer gewinnend) neckte, und wie selbstverständlich sie darauf achtete, dass das Brautkleid, das ihre Mutter (Caroline Rocher zugänglich und vornehm zugleich) ihr schenkte, bei allem Spaß am Spielen nicht beschädigt werden darf. In diesem Kleid erscheint Julia erwartungsvoll-erwachsen auf dem gravitätischen Ball. Zwei kleine Schritte an Graf Paris vorbei, der ihr vorgestellt wird, sowie ein fragender Blick auf die Eltern machten sofort klar, dass der kein Volltreffer ist. Ganz anders als Romeo ihr begegnet: Blick und Körpersprache verrieten schlagartig, dass es um sie geschehen ist. Tänzerische Unsicherheiten wie die misslungenen hohen Ecartés, offenbar durch rutschige Spitzenschuhe mitverursacht, kaschierte Kalinitchenko durch erfüllt geführte Port de bras und wog sie durch ihre genau akzentuierte Fußarbeit, ihre Musikalität und Stildisziplin auf. Vor allem aber verkörperte sie ihre Rolle so, dass die Geschichte dadurch lebendigen Atem bekam. Ihre Partner (Marlon Dino als ein nicht zu verachtender Paris und Lukas Slavický als überzeugend kommunizierender Romeo) unterstützten sie bestens. War es auch der darstellerischen Phantasie Kalinitchenkos zu danken, dass durch fein gestufte Unterschiede, wie Julia und Gäste voneinander Abschied nahmen, das Szenenende erstmals zu einem Kabinettstückchen wurde, in dem mit Julias Einverständnis Romeo und seine Freunde über die Starrheiten der Capulets triumphierten? – Die Balkonszene begann spannend durch die Ruhe und das verzögerte Timing, mit dem Kalinitchenko als Julia auftrat, scheu abwartete, dann auf die virtuose Romeo-Variation Slavickýs reagierte und sich im Tanz mitreißen ließ, bis sie selbst die Initiative übernahm. So klug aufgebaut und sinnfällig zelebriert war der Balkon-Pas de deux lange nicht zu sehen.

Im Mittelakt bekam die neuerdings kammermusikalische Instrumentierung, mag sie auch original sein, dem Straßenfest nicht, auch wenn die Energie der Tänzer stimmte und der als Faschingsprinz debütierende Xionan Xu mit seiner charmant gespielten Unbeholfenheit gut ankam. In dem von den vorzüglichen Antagonisten Alen Bottaini (Mercutio) und Kirill Melnikov (Tybalt) geprägten Geschehen erwies sich die Trauung Romeos und Julias bei Pater Lorenzo (Peter Jolesch, ein Fels in jeder Darstellung) als schöner Kern, der von außen bedroht ist. Vor diesem Hintergrund gewann der Liebes-Pas de deux, nach dem Romeo fliehen muss: Kalinitchenko tanzte ihn aus schnellen Impulsen mit klar aus der Musik wachsenden Posen, die schließlich ins Leere gingen. Aus der durch ihre Liebe zu Romeo dramatisch aufgeladenen Szene, in der ihre Eltern ihr Paris zuführen, entwickelte Kalinitchenko ruhig Julias Aufbruch zu Pater Lorenzo, wo – im Zusammenspiel mit Peter Jolesch – ihre Klarheit berührte. Im Besitz des Giftes wurde sie mit ihrem vorgeblichen Entschluss, Paris zu heiraten, zur Tragödin, in ihrer Konfrontation mit dem Gift nochmals zum ängstlichen Mädchen, ehe sie sich mit ihren Gedanken an das Wiederaufleben zur Liebe als Vermittlerin großer Gefühle bewies. Überflüssig zu sagen, dass sie auch für Julias Sterbeszene die richtigen Lösungen fand. München hat in ihr wieder eine Ballerina in der Tradition Anna Villadolids, die – ohne auf spektakuläre Technik angewiesen zu sein – Handlungsballette als große Einheiten mitreißend tanzt.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern