Dem Prinzen von Marbach

Zum morgigen 70. Geburtstag von Heinz Clauss

oe
Stuttgart, 16/02/2005

Hätte Johannes Brahms geahnt, dass aus seinem zweiten Klavierkonzert je ein Ballett von einem gewissen John Cranko würde, er hätte sicher noch einen fünften Satz komponiert. Denn im Grunde waren es natürlich fünf, die 1972 die Equipe der Ersten Solisten des Stuttgarter Balletts bildeten – nicht nur Marcia Haydée, Birgit Keil, Richard Cragun und Egon Madsen gehörten dazu, sondern auch Heinz Clauss, der morgen seinen siebzigsten Geburtstag feiert. Und so hätte Crankos Ballett eigentlich „R.B.M.H.E.“ heißen müssen. Und das umso mehr, als Heinz Clauss kein „Reingeschmeckter“ war (wie die anderen vier, inklusive der im Sudetenland geborenen Birgit Keil), sondern ein neckarechter Schwabe – wenn auch einer von der anderen Seite, nämlich aus Esslingen-Mettingen.

Zu dem Heinz Clauss, an den wir uns erinnern, wurde er freilich erst, als er als strahlender Balanchine-Apollo 1967 nach Stuttgart zurückkehrte, wo er nach seiner Ausbildung von 1951 bis 1957 seine Lehrjahre als Tänzer absolviert hatte. Mit seinem damaligen Mentor Robert Mayer ging er dann nach Zürich und von da aus bereits als Erster Solist nach Hamburg. Dort holte er sich in der Ära Peter van Dyk seinen Hochglanzschliff und ertanzte sich sein Renommee als erster deutscher Tänzer mit der Approbation als Balanchine-Stilist, als der er dann in der ganzen Welt als Einstudierer von Balanchine-Balletten seinen internationalen Ruf bekräftigte.

Als er 1987 den John-Cranko-Preis erhielt, rühmte ihn Bernd Krause in seiner Laudatio als einen, der in seiner Karriere „alles getanzt hat, von Romeo bis zum Petrucchio. Aber: Onegin, das war seine Rolle. Und es ist das Schicksal aller seiner Nachfolger in dieser Rolle, dass es auf absehbare Zeit immer Menschen im Publikum geben wird, die sich an das ‚Original‘ erinnern – und dass John Crankos ‚Onegin‘ das ist, was es ist, dass es weltweit zu den wichtigsten Balletten in unserer Zeit gezählt wird, das ist ganz wesentlich Heinz Clauss zu danken. Er war DER Onegin überhaupt!“ Die „absehbare Zeit“ ist auch nach siebzehn Jahren noch nicht abgelaufen – genau so wenig wie die Erinnerung an seinen Balanchine-Apollo verblasst ist.

Weit ist die Skala zwischen seinen beiden Identifikations-Rollen – mit den Prinzen aus vielerlei europäischen Ballett-Herrschaftshäusern wie mit den modernen, eher sportiven Champions aus den konzertanten Balletten von Balanchine, Cranko, Lander, van Dyk und MacMillan. Immer wieder ist seine unprätentiöse technische Souveränität gerühmt worden, seine Eleganz, seine Seriosität und Integrität, seine Disziplin, Zielstrebigkeit und seine warme Menschlichkeit. Sie prägten auch seine Zeit als Direktor der John Cranko-Ballettschule, die er als Nachfolger von Anne Woolliams von 1976 bis 1990 leitete. Und die er an seine Schüler weitergab – um hier nur Sonja Santiago, Julia Krämer, Wolfgang Stollwitzer, Roland Vogel, Matthias Deckert und Christoph Lechner zu nennen.

Als Persönlichkeit und als Künstler des Stuttgarter Balletts ist er in den fünfzehn Jahren seit seinem Rückzug ins Privatleben durch niemanden ersetzt worden. Es ist auch schwer vorstellbar, dass es im Ballett die von ihm verkörperte Mischung aus schwäbischer Bodenständigkeit und preußischer Gesinnung noch einmal geben könnte. Fast ist man versucht, ihn einen tänzerischen Erben der besten Tugenden (denn die gab es ja auch) der Hohen Karlsschule von Herzog Carl Eugen zu nennen. Ein Jammer, dass niemand für ihn die Rolle choreografiert hat, für die er doch wie kein anderer prädestiniert gewesen wäre – nicht den Prinzen von Homburg, wohl aber den Prinzen von Marbach. In Staub mit allen Feinden Schwabens!

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