Die alternative Preisvergabe der Stuttgarter John-Cranko-Gesellschaft

Verleihung des 18. John-Cranko-Preis an das Stuttgarter Ballett

oe
Stuttgart, 16/10/2005

Eigentlich kann man sich nur wundern, dass noch niemand zuvor auf die Idee gekommen ist! Aber es gibt ja auch (noch) keinen George-Balanchine-Preis, den man dem New York City Ballet hätte verleihen können, oder einen Frederick-Ashton-Preis für das Royal Ballet. Und vielleicht schreckte ja auch ein bisschen die Erinnerung ab an die Praxis in der Sowjetunion, den Lenin- oder Stalin-Preis, beziehungsweise den Großen Vaterländischen Verdienstorden an das Bolschoi- oder das Kirow-Ballett zu verleihen. Und so ließen es sich die Stuttgarter, beziehungsweise der Vorstand der John-Cranko-Gesellschaft einfallen, ihren achtzehnten John-Cranko-Preis an das Stuttgarter Ballett zu vergeben. Und hatten damit wieder einmal die Nase vorn.

Und hätte denn irgendeine andere Persönlichkeit (außer dem Namensgeber) diesen Preis eher verdient, als die Kompanie, die seinen Namen bereits seit 43 Jahren etliche Male rund um den Erdball getragen hat und trägt – und dabei auf weltweit über anderthalbtausend Vorstellungen allein von „Romeo und Julia“, „Onegin“ und „Der Widerspenstigen Zähmung“ kommt? Und das Schönste: auch im respektablen Schwabenalter lässt das Stuttgarter Ballett keinerlei Ermüdungserscheinungen erkennen. Midlife-Crises? Nie gehört! Und hatte unmittelbar zuvor mit einer geradezu hingefetzten Vorstellung der „Widerspenstigen“ bewiesen, dass es so jung ist wie am Tage seiner Geburt vor 35 Jahren! Es hatte dazu aber auch eigens einen Originalgeist der Uraufführung vom 16. März 1969 herbeibeordert – in der reinkarnierten Gestalt eines Putzteufels namens Egon Madsen.

Und so war‘s so schön wie in jenen Tagen, da die Welt denn doch noch ein bisschen schöner war – und so jung, so fabelhaft jung und strahlend, und pausbäckig ihren Optimismus ausstrahlend, der wie ein Bumerang auf die Bühne zurückprallte, denn unten, im Zuschauerraum saßen wir, und fühlten uns alle um 36 Jahre verjüngt – inklusive all derer, die sich noch gar nicht vorstellen können, dass auch sie einmal 36 sein werden, und für die wir alle, die schon 1969 dabei waren, Opas und Geriatrics sind! Und so feierten die beiden Laudatores, Rolf Michael Pfander und Monika Mayer, das Ereignis im Kreise der Großfamilie aus Tänzern, Stab und Publikum (ach, könnte doch unsere Familienministerin auf eine ähnliche Großfamilie zurückblicken – es gäbe keinen Generationskonflikt und schon gar keine Nachwuchssorgen!).

Und so sangen sie ihr Preis-Duett und vergaßen dabei niemanden, nicht Cranko, natürlich, nicht Haydée, nicht Tetley und keinen aus der Hundertschaft, die am Aufbau dieses Tanzkonzerns alias Stuttgarter Ballett mitgewirkt hatten. Und es klang mindestens so schön wie bei Samson und Dalila, „Mon coeur s‘ouvre à ta voix“. Und Reid Anderson, der amtierende Charismatiker der Kompanie, fügte dem dann noch eine Cabaletta hinzu, in die er nicht vergaß, auch die Landesregierung und die Stadtverwaltung einzubeziehen – und, last but not least, die Steuerzahler, die Malocher, die dieses Wunder erst möglich gemacht haben und dafür sorgen, dass es Vorstellung um Vorstellung in immer frischem Glanz erstrahlt!

Und wie war es an diesem Abend wieder einmal erstrahlt – mit einer so kratzbürstigen Sue Jin Kang, als handelte sich‘s um ein Casting für „Who‘s afraid of Virgina Woolf?“ und einem Filip Barankiewicz, der seine Triple-Tours wie auf einer Luftfahrtschau drehte, nebst all ihren Kollegen: der liebreizenden Elena Tentschikowa, den überkandidelten Freiern Alexander Zaitsev und Eric Gauthier mitsamt ihrem Elegantissimo-Rivalen Mikhail Kaniskin, den charmesprühenden beiden Edeldamen Oihane Herrero und Diana Martinez Morales sowie dem Quartett der Hausknechte, bestehend aus Mikhail Soloviev, Marijn Rademaker, Tomas Danhel und Alexander Teutscher – ganz zu schweigen von all den anderen, den Bürgern von Padua, der Faschingsgesellschaft und den Hochzeitgästen, die gleich die Eröffnungsszene so turbulent aufluden, als probten sie für den nächtlichen Krawall der nächsten „Meistersinger“-Produktion (wie minuziös hat Cranko das aber auch durchchoreografiert). Ein Red-Letter-Day der Stuttgarter Ballett-Chronik! Wieder einer! Und der nächste kommt bestimmt! So, dass der virtuelle Norbert Blüm des Balletts verkünden könnte: Die nächste Preisverleihung ist sicher!

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