Plädoyer gegen Rassismus im Tanz
Neu erschienen: die Biografie des kubanischen Tänzers Osiel Gouneo
Im Jahr 2001 führte ich ein Interview mit Judith Turos. Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand von ihrer langwierigen Verletzung, deren Heilung ihr erst jetzt erlaubte, sich in „The Old Man and Me“ zwar nicht in einer ihrer großen Traumrollen, aber doch mit einem wie für sie zugeschnittenen Van-Manen-Stück von ihrer großen Münchner Fangemeinde zu verabschieden. Viele ihrer Voraussagen sind bereits eingetroffen, wie z. B. ihre erfolgreiche Arbeit mit dem Nachwuchs. Anderes, wie die Ausführungen zur Technik José Limóns, hat gerade neue Aktualität gewonnen. Immer aber wird es Spaß machen, im Gespräch die entschiedenen Ansichten dieser erfahrenen Künstlerin kennenzulernen. Lesen Sie als Kostprobe dafür das ihrer Biografie angeschlossene damalige Gespräch.
Judith Turos gilt als eine der mitreißendsten dramatischen Tänzerinnen der Gegenwart und beherrscht die Bewegungssprache des modernen Tanzes gleichermaßen lässig wie lasziv, humorvoll und brillant. Der Freistaat Bayern ehrte sie 1997 als erste Künstlerin mit dem eigens für sie geschaffenen Titel „Bayerische Kammertänzerin“. Zahlreiche Auszeichnungen gingen voraus und folgten. Als Rumänin ungarischer Abstammung zog Judith Turos im Alter von neun Jahren aus ihrer Heimatstadt Dej ins Ballettinternat nach Klausenburg. Als sie 16 war, wechselte sie mit einem Stipendium an die Moskauer Ballettakademie und fand drei Jahre später, obwohl sie als beste Absolventin zurückkehrte, in Rumänien kein festes Engagement. Deshalb schloss sie sich dem Tourneeballett von Oleg Danovski an und tanzte fünfmal pro Woche „Der wunderbare Mandarin“, „Les Sylphides“ und „Schwanensee“. Als 20jährige setzte sie sich auf ihrer ersten Deutschland-Tour ab, trainierte in München, bis Edmund Gleede zur Spielzeit 1981/82 einen Vertrag für sie frei hatte. Ronald Hynd ernannte sie 1985 zur Ersten Solistin.
Lise in „La Fille mal Gardée“, Dornröschen und Tatjana in John Crankos Onegin sind ihre Rollen dieser frühen Jahre, gefolgt von Julia, Giselle und Louise im „Nussknacker“. Mit „La Valse“ und „Serenade“ tanzt sie Balanchine und macht in John Butlers „Les Doubles“ und Jiri Kyliáns „Nuages“ erste Erfahrungen mit der Moderne. Roland Petit studiert mit ihr in Marseille sein „La Nuit phantastique“ ein, und Ronald Hynd gibt ihr die Hauptrolle in seinem „Papillon“. Doch als er geht, beginnt für die aufstrebende Tänzerin eine dreijährige Durststrecke.
Statt das Ballett der Bayerischen Staatsoper zu verlassen, bleibt sie in München, heiratet Marko Kathol und wird Mutter. Nach der Geburt ihrer Tochter Lara ist sie ruhiger, bewusster und hungrig auf gute Arbeit. Konstanze Vernon setzt sie in den ersten drei Jahren nach der Gründung des Bayerischen Staatsballetts in vier neuen Hans-van-Manen-Stücken ein, aber ihren exponierten Platz im stark verjüngten Ensemble erobert Judith Turos erst 1993 beim Gastspiel in New York zurück, dank einer Cranko-Rolle, in der sie nun gereift ist. Die amerikanische Kritik ist begeistert von ihrer „erregenden“ Tatjana in einer „vollkommen stimmigen Vorstellung.“ Ein großer Schritt nicht nur für Judith Turos, sondern auch für das Bayerische Staatsballett.
Von da an glaubt Konstanze Vernon wieder an die Turos und gibt ihr die Katharina in Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“. John Neumeier besetzt sie in seinem „Sommernachtstraum“ als Hippolyta/Titania. Davide Bombana kreiert mit ihr die Marie seiner „Woyzeck-Fragmente“, und Youri Vamos schneidet die Shannon Rose seines gleichnamigen modernen Handlungsballetts auf sie zu. In dieser Rolle ertanzt sie sich die „Aura einer Marcia Haydée der späten 90er Jahre“, wie Horst Koegler schreibt. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere verkörpert sie John Neumeiers „Kameliendame“ und sagt darüber: „Diese Frau macht alles, was eine Hauptdarstellerin sich wünschen kann. Ich habe jedes Gefühl, das ich an ihrer Stelle gehabt hätte, analysiert und hatte die Erfahrung, aber auch die Courage, mich in diese Figur mit Haut und Haaren einzubringen.“
Die Souveränität, mit der Judith Turos in den 90er Jahren ganz verschiedene Stile tanzte, ist Grund, noch einige ihrer bisher über 60 Ballette zu nennen: Ray Barras „Don Quijote“, Jirí Kylíans „Svadebka“, „Passomezzo“ und „Tabula rasa“ von Ohad Naharin, „Rags“ von Robert La Fosse und „Brief Fling“ von Twyla Tharp, das „Luigi-Nono-Projekt“ von Davide Bombana und Angelin Preljocajs „Feuervogel“. Für den Stil von Hans van Manen, den Formstrenge, Persönlichkeit, eine spezifische Härte und Positionen kennzeichnen, deren Ausdrucksstärke ohne äußere Bewegung aus dem Inneren strahlt, wird sie mit weiteren drei Stücken zur Spezialistin. Seit 1999 reflektiert sie in „Chaconne“, einem durch inspirierte Ausdruckskraft geprägten Modern-Dance-Solo von José Limon, ein ganzes (Tänzer-)Leben, jüngst wieder in der Terpsichore Gala III, die ihr das Bayerische Staatsballett zu ihrem 20-jährigen Bühnenjubiläum im September 2001 widmete.
Frau Turos, mit der Verkörperung der „Kameliendame“, die in München seit 1997 getanzt wird, sahen Kritik und Publikum Sie auf dem Höhepunkt ihrer langen Karriere. Was bedeutet die Zeit danach für Sie?
Nach der „Kameliendame“ war „Chaconne“ die einzige große Herausforderung der letzten Jahre. Es ging um die José-Limon-spezifische Basis des Modern Dance, einen Stil, in dem die Bewegungen ganz anders ausgeführt werden als in unseren klassischen, neoklassischen oder auch zeitgenössischen Stücken. Limon ging damals ganz eigene Wege in Amerika: Auch in seiner Technik ist man wie in der Klassik hochgezogen, aber trotzdem sinkt man tief in den Boden, fühlt sich viel gewichtiger, um der Bewegung eine Form zu geben. Trotzdem muss man auf einmal aufspringen und wieder landen. Und diese Leichtigkeit, um schwer zu sein, das ist das Interessante.
Auf mich wirkte das, als schaffe dieser Tanz eine Verbindung von Himmel und Erde...
Ja, so dass man den Boden spürt, und wenn man mit halb gebeugten Beinen läuft, hängt man nicht hinten nach wie in der Klassik, sondern alles geht mit, kompakt, wie in einer natürlichen Bewegung. Dass Sarah Stuckhouse, die Chef-Ballettmeisterin der José-Limon-Company, das vor zwei Jahren mit mir erarbeitet hat, war eine große Hilfe, und ich muss sagen, dass dies das letzte Stück war, das mich glücklich gemacht hat.
Sie haben danach die Stiefmutter in „Cinderella“, Lescauts Geliebte in „Manon“ und immer wieder Stücke von Hans van Manen und zuletzt das einzige Solo in Lucinda Childs „Händel/Corelli“ getanzt. Höre ich trotzdem so etwas wie Endzeitstimmung?
Die Rollen, die Sie nennen, waren für mich keine so großen Herausforderungen mehr, sondern lediglich weitere Stationen, damit ich aktiv bleibe und vor den Augen der Zuschauer noch existiere. Aber ich habe nach der „Kameliendame“ – und seitdem sind fast vier Jahre vergangen – immer erwartet, noch eine Aufgabe zu bekommen, die mich so fordert, dass man sagt: „Die Turos macht wieder etwas.“ Natürlich antwortet mir die Ballettleitung zu Recht, dass ich doch dies und jenes tanze. Aber ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam überlegen, mit welchem Projekt wir – vielleicht zum letzten Mal – meine Begabung nutzen könnten.
Was können Sie selber dafür tun, und wie soll es anschließend weitergehen?
Ich hoffe weiterhin. Und ich halte mich fit. Aber es muss bedacht werden, dass das nicht mehr lange geht. Wenn ich keine Geduld mehr habe zu warten, werde ich mich mehr dem Nachwuchs widmen. Zufällig helfe ich jetzt gerade einer jungen Tänzerin, eine Rolle einzustudieren, aber nur wenige Male. Um in ein Solo eine Farbe, einen Stil zu bringen, gebe ich 100 Hinweise, von denen sie vielleicht 20 mitkriegt – und das ist für drei Tage nicht einmal schlecht. Dann muss sie weiter daran arbeiten, denn von allein kommt nichts. Wenn ich selber keine Vorstellungen mehr tanze, möchte ich selbstverständlich das tun, was ich für meine Stärke halte: Coaching.
Sie haben in den letzten Jahren an der Münchner Ballettakademie Pädagogik studiert. Hat das diesem Ziel gedient?
In gewisser Weise ja, denn ich habe da mein Diplom als Trainingsmeisterin gemacht. Das tägliche Training, das Tänzer brauchen, hat ein Gesetz: Es muss alle Elemente enthalten, die notwendig sind, dass die Tänzer fähig sind, alle Bewegungen auszuführen, die ein Choreograf verlangt. Wenn ein guter Trainingsmeister diese Elemente in sein Training einbaut und die richtige Ausführung gewährleistet, gehen die Tänzer gut vorbereitet in die Proben. Ein Ballettmeister sollte Trainingsmeister und Coach sein können. Ich habe allerdings schon immer mehr zum Coaching tendiert, d. h. eine Rolle zu erarbeiten und die Bewegungen zu formen wie ein Skulpteur. Solange jemand nur die Schritte gelernt hat, sind rundherum so viele Fehler, hat alles noch keine Aura ... und da fängt das Coaching an!
Wie arbeitet man dann?
Im Ballettsaal, zwischen Proben, auf der Straße, überall und dauernd. Immer Tipps geben, reden, zureden, Geschichten erzählen. Coaching folgt einer ganz anderen Philosophie als Training. Es geht nicht nur um puren Tanz. Wenn ich jemandem für ein Solo, z. B. in „Don Quijote“, nur diesen Schritt und jenen beibringe und alle, die dazwischen sind, schaut das sehr glasig aus – das ist nichts! Ich muss rundherum das Ganze vermitteln und erzählen, warum es so ist. Das wichtigste beim Coaching ist, was man den Tänzern sagt, damit sie sich als Persönlichkeit entdecken und sich ihrer selbst bewusst werden. Dazu kommt praktisches Können: Wenn man etwas gut vorzeigt, ist man ein gutes Beispiel, wenn nicht, ein schlechtes.
Ich hatte früher – wenn ich das einfügen darf – Sprechunterricht bei einer 95jährigen ehemaligen Sängerin. Sie hat zwischen den Übungen so schön erzählt, dass man glauben konnte, sie habe die Konzentration verloren. In Wirklichkeit wollte sie damit vermitteln, wie man sich über sein Bewusstsein in den Zustand des Staunens versetzt. Denn wenn man staunt, atmet man automatisch richtig.
Das ist dasselbe wie bei uns, genau! Dann haben Sie verstanden, was indirekte Hilfen nutzen. Aber viele Ballettmeister arbeiten nicht so. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie meistens sowohl Training als auch Proben geben müssen. Beide Tätigkeiten entstehen aber aus geradezu entgegengesetzten Prinzipien – dem der strengen Lehre und dem der künstlerischen Freiheit, in der das Eigene wertvoll ist. Natürlich sollte man Trainingsmeister und Coach sein, aber nicht an ein und demselben Tag, zumal beides auf professioneller Ebene sehr viel Vorbereitung fordert.
Werden Sie als Ballettmeisterin mit Schwerpunkt Coaching glücklich sein?
Das ist mir auf lange Sicht nicht genug. Ich bin in meinem Beruf so weit, dass ich das Gefühl habe: Nur wenige können mir Ratschläge geben. Das soll nicht anmaßend klingen, und ich sage nie, dass ich die beste bin. Aber da ich es weiß, möchte ich nach so vielen Jahren aussprechen, dass ich fähig bin, diese Kunst weiterzugeben und dass ich die Freiheit anstrebe zu entscheiden, auf welche Weise ich mit jemandem arbeiten will. Denn wenn ich zu realisieren versuche, was mir vorschwebt, muss ich dazu meine Augen benutzen und nicht die von jemand anders. Aber in den drei oder fünf Anfangsjahren ist es für mich auch gut und richtig, nach den Wünschen anderer zu arbeiten. Ich brauche ja Routine und muss mich im Coaching perfektionieren, also z. B. den Überblick gewinnen, wie lange es dauert, mit verschiedenen Tänzern die jeweiligen Rollen einzustudieren.
Lassen Sie uns noch einmal an die abgelaufene Spielzeit anknüpfen: Wenn Sie ein neues Stück wie Hans van Manens „Kammerballett“ tanzen sollen, ist das für Sie wirklich nur eine abrufbare Leistung?
Alles, was ich von Hans van Manen getanzt habe, habe ich mit Leidenschaft getanzt und in dem Bewusstsein, dass es von bedeutender Qualität ist. Das hilft, dass man sich mit ganzer Seele einbringt, aber ich finde nicht, dass es für mich eine höhere Arbeitsphase war als bei der Stiefmutter in „Cinderella“. Dies ist eine Charakterrolle in einer Erzählung, jenes hat ein tiefgründiges Thema, das man als Tänzerin selber darstellt, ohne etwas zu erzählen. Alle kennen Hans van Manens Mann-und-Frau-Motive. Sein „Kammerballett“ hat mich um eine liebliche Variante bereichert, in der ich ganz anders aussehen musste als z. B. in „Concertante“.
Wie müsste die besondere Herausforderung aussehen, auf die Sie warten?
Ein Stück eines modernen Choreografen wie Mats Ek, Jirí Kylían, oder Youri Vamos wäre toll. Sie alle haben den neoklassischen Tanz durch moderne Bewegungen erneuert und ihre eigene Bewegungssprache modelliert. Und das gefällt mir einfach. Ich würde das ansiedeln zwischen Neoklassik und Tanztheater. Ich habe es selber so empfunden, dass das für Tänzer die größte Befriedigung bereithält, denn man muss seine Kunst auf der Basis der klassischen Technik weiter pflegen und kann sich trotzdem in eine Menschlichkeit bewegen, die im heutigen 21. Jahrhundert verstanden und gemocht wird. Und ich wünsche es allgemein für den Tanz, dass diese Ära lange anhält. Natürlich gibt es hervorragende Tänzer, die nur Modern gelernt haben, und sie bewegen sich phantastisch. Und es gibt Outdoor-Phänomene wie den Breakdance. Auch die arbeiten akrobatisch mit Musik, und ich erkenne sie als Künstler an. Das alles kann inspirieren und heute mit Tanz kombiniert werden, der auf einer richtigen künstlerischen Ausbildung basiert.
Wie sieht Ihre persönliche Bilanz Ihrer Karriere aus?
Ich habe schon vor vielen Jahren, als ich „Shannon Rose“ und die „Kameliendame“ noch nicht hatte, davon geträumt, möglichst oft mit Kylían und Mats Ek zu arbeiten. Leider kam das nur einmal zustande, als Kylían in München „Svadebka“ einstudierte. Aber ich habe ein Youri Vamos-Stück gewonnen und weiter mit John Neumeier gearbeitet, von dem ich viel gelernt habe. Er kann so viel reden, und wenn man die Konzentration aufbringt, alles aufzunehmen, wird man Juwelen in seinen Erklärungen entdecken!
Wenn eine Tänzerin so lange, in Ihrem Fall 22 Jahre, auf höchstem Niveau getanzt hat, ist auch die körperliche Konstitution bewundernswert. Wie lange können Sie noch aktiv tanzen?
Ich bin zufrieden, dass es so lange ging, und mir ist auch bewusst, warum. Erstens ist es ein Geschenk, dass mein Körper von Natur aus so gebaut ist, und dafür bin ich dankbar. Aber zusätzlich musste ich diszipliniert sein und überlegt daran arbeiten. Wenn man Trainingszeiten auslässt, kommt eine Verschleißerscheinung schneller, oder die Muskeln...
... senile Muskelatrophie? ...
genau, sie werden nicht mehr so gut durchblutet. Aber wenn man ihnen, bevor sie sich zurückbilden, zum Aufbautraining bietet, das sie regelmäßig wie eine Ernährung bekommen, hält man länger durch. Deshalb halte ich es für ein Glück, im festen Engagement zu sein. Wir wissen alle, wie schwer es ist, freiberuflich zu arbeiten. Wenn es zu Fehlzeiten im Training kommt, endet die Karriere früher.
Wenn noch zwei, drei interessante Aufgaben auf Sie zukämen: Würde das Ihre Karriere verlängern?
Ja, aber nur ein bisschen. Eine heutige Ballerina kann höchstens bis 45 tanzen, leider. Auch wenn ich dann immer noch gut springe, werde ich nicht weitermachen. Ich will nicht mit ungestreckten Füßen herumtanzen, nur weil der Oberkörper noch sehr schön ist. Viele frühere Tänzerinnen haben bis 60 getanzt, aber sie haben auch eine geringere Belastung gehabt als ich. Wenn man nur einen oder zwei verschiedene Stile tanzt, strapaziert das den Körper nicht so. Bei der heutigen Belastung ist es für eine Ballerina schon sehr gut, wenn sie als 38jährige noch tanzt.
Wie machen sich Alter und Strapazen denn bemerkbar?
Ich spüre meine Gelenke, merke, dass ich Schwierigkeiten wie Schmerz- oder Schwächephasen überwinden muss. Solange ich ein Solo so tanze, dass ich fühle, die Qualität zu haben, die ich auch vor zehn oder vor fünf Jahren hatte, will ich noch tanzen. Wenn diese Zufriedenheit nicht mehr zu fühlen ist – und nur ich selber weiß das – werde ich aufhören, nicht sofort, aber allmählich, und sagen: Jetzt ist meine Sonne im Untergang. Das wird sein, wenn die Schwierigkeiten, die ich heute habe, nicht mehr zu überwinden sind. Jetzt sind sie noch zu überwinden.
Sind Sie sicher, dass Sie den richtigen Zeitpunkt wahrnehmen werden?
Ja, da bin ich sicher. Es wird mir natürlich mental und seelisch sehr schwerfallen. Die Phase, in der ich leide, fängt schon an. Wenn ich – und soviel Profi war ich mein Leben lang – merke, dass etwas nicht gut war, nützt es mir nichts, wenn andere sagen: Lass gut sein, das war wunderbar! Nein, ich empfinde doch selber, wenn ich mich quäle und nicht erreicht habe, dass eine Bewegung so gut war, wie ich sie machen wollte. Ich war immer eine Perfektionistin, schon in meiner Jugend. Damals habe ich meine Kollegen angeschrien. Heute tue ich das nicht mehr, ich bin älter. Alles was ich jetzt will ist, sie zu pflegen, ihnen zu schmeicheln, auch wenn nicht ich, sondern sie an etwas, was schiefging, schuld sind. Ich weiß jetzt, dass ich mit Tänzern bzw. Mitmenschen anders umgehen muss. Und dadurch, dass ich manchmal nachgebe, kommt dabei eine gute Zusammenarbeit heraus.
Wird dann der Weg das Ziel?
Natürlich. Aber die Perfektion will ich trotzdem verlangen. Und deshalb kommt es manchmal zu einem Gegensatz: Ich bin während einer Probe locker, und am Ende sind alle zufrieden, aber ich will etwas noch einmal probieren. Ich weiß nämlich, dass ich es besser kann, aber nur ich weiß es. Wenn das immer häufiger der Fall sein wird, muss ich aufhören. Ich habe eine Verantwortung für mich. Dann werde ich den andern Weg versuchen.
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