Englisch bis ins Plié

Das Birmingham Royal Ballet zu Gast bei den Hamburger Ballett-Tagen

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Hamburg, 29/06/2005

Eine Kompanie, maßgeschneidert aus feinstem englischen Tuch aus den königlichen Ateliers der Saville Road (beziehungsweise deren Dependance): das ist das Birmingham Royal Ballet – zu Besuch bei den diesjährigen Hamburger Ballett-Tagen. Geformt unter der Leitung von Peter Wright, hat es sich mit David Bintley als Künstlerischem Direktor und Chefchoreograf zu einer Truppe von internationalem Format entwickelt, englisch bis ins offenbar aus dem Hofzeremoniell abgeleiteten Plié.

Ein Programm, gewidmet Frederick Ashton, dem Meisterarchitekten des englischen Balletts, geboren im gleichen Jahr 1904 wie Balanchine – und wie er ein Mann aus dem von Petipa gegründeten Commonwealth des Balletts, so erzmusikalisch wie dieser, aber eben aus unverkennbar britischem Adel. Schön, dass der Abend auch dank der Mitwirkung des Philharmonischen Staatsorchesters unter seinem tanzsensiblen Leiter Philip Elis dem hohen musikalischen Anspruch gerecht wurde.

Drei Ballette unterschiedlichster Machart aus drei verschiedenen Lebensabschnitten von Sir Fred: „Dante Sonata“ aus dem Jahr 1939/40, als das große Unheil über die Welt hereinbrach, weiter „Scènes de ballet“, Jahrgang 1958, als die Welt sich gerade von den Schrecknissen des Zweiten Weltkriegs zu erholen und Chique und Eleganz als Elixier kultivierten Lebens wiederzuentdecken begann, und die „Enigma Variations“, anno 1968, als englische Antwort auf die revolutionäre Protestbewegung der kontinentalen Jugend – die feine englische Art des nostalgieverklärten Rückzugs in die edwardianische Country-Idylle. Getanzt alle drei in wunderbar flüssiger Harmonie, die Virtuosität sublimiert zu musikalischer Spiritualität, kultiviert bis in die Finger- und Fußspitzen, von einem beglückend homogenen Corps und einer Solistenequipe individuell profilierter Charaktere.

Die Strawinskyschen „Scènes de ballet“ als Ashtons direkteste Huldigung an Petipa, eine geometrische Reißbrettkonstruktion, nein: ein choreografisches Röntgenbild der Partitur, mitbestimmt durch André Beaurepaires Pariser Chique – englische Ballettklassik mit französischem Pfiff (die koketten Hütchen der Damen, die Nasenstübersynkopierungen). Ein Ballett, das schmunzeln macht, locker, wie aus den Hand- und Fußgelenken geschüttelt präsentiert.

Danach dann „Dante Sonata“, von Constant Lambert nach Liszt arrangiert, Ashtons Betroffenheitsballett, voller schlimmer Vorahnungen, was aus dem Überfall der Deutschen auf Polen an apokalyptischen Schrecken auf die Welt zukommen würde. Die Kinder des Lichts, die sich der Attacken der Kinder der Finsternis zu erwehren haben – ohne Sieg, denn was zählt, sind allein die Opfer auf beiden Seiten. Ein Ballett, ganz in Trauer getaucht, barfuß getanzt, mit aufgelösten Haaren – Ashtons Hommage an Isadora Duncan. Weniger Dantesches Inferno als dem Zeitgeist verhaftete Dumpfheit und resignierende Hilflosigkeit. Heute nur von denen zu goutieren, die sich des historischen Hintergrunds bewusst sind.

Und dann zur Krönung die „Enigma Variations“ – Ashton als Gesellschaftsporträtist in der Nachfolge Jane Austens und Virginia Woolfs. Ein getanzter Roman mit minuziös durchgezeichneten, auch schrulligen, exzentrischen und spleenigen Charakteren. Ein Ballett vor allem aber über die Liebe und Freundschaft (und über die Zärtlichkeit) und nicht zuletzt über die Einsamkeit des schöpferischen Künstlers. Die englische Ballettantwort (übrigens nicht ohne eine Prise deftigen Humors) auf die melancholischen Komödien Tschechows (und doch so ganz anders als Neumeiers nicht weniger berührende Hamburger Ballettantwort auf Tschechows „Möwe“). Ach, warum haben wir nicht auch ein so schönes, subtiles, so stimmiges und atmosphärisch dichtes Ballett aus dem Umkreis Fontanes! Dies ist sicher eins der zehn – oder auch nur der fünf Ballette, die ich auf meine Trauminsel mitnehmen würde. Dank Birmingham (der Stadt, in der ja auch Simon Rattle zu internationalem Ruhm gelangt ist), dank Hamburg, dank John Neumeier!

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