Modellfall einer Klassikerproduktion (mit dramaturgischem Webfehler)

Wiederaufnahme der „La Bayadère“-Produktion

oe
München, 19/05/2005

München, Hamburg, Berlin – und rechnen wir auch Wien noch dazu: viermal „La Bayadère“ in durchaus ansehnlichen, auch international konkurrenzfähigen Produktionen. Wer hätte das noch vor zwanzig Jahren für möglich gehalten! Und nun also die Wiederaufnahme der deutschen Erstaufführung von 1988 beim Bayerischen Staatsballett – in der immerhin schon 41. Vorstellung! Ein volles Haus, große Begeisterung, viel Applaus schon nach den einzelnen Nummern. Sie bestätigt erneut den Klassiker-Status des Petipa-Minkus-Chef-d‘oeuvre von 1877. Wie hat sich Petipa, wie hat sich der musikalische Anspruch in den zwanzig Jahren seit der doch noch arg konventionellen Petipa-Pugnischen „Phraonentochter“ von 1856 (siehe kj vom 12.5.2005) weiterentwickelt.

Die Münchner Einstudierung von Patrice Bart ist ein großer ästhetischer Wurf – zu verdanken nicht zuletzt der filigranen Ausstattung von Tomio Mohri – welch ein Crescendo der subtil aufeinander abgestimmten Farben, ohne allen Postkarten-Indianismus. Wie hat sich auch Myron Romanul seit seinem kruden Stuttgarter „Dornröschen“-Debüt als Dirigent weiterentwickelt – wie sensibel begleitet er die Tänzer in ihren Variationen. Bart hat sich alles in allem an die Petipaschen Überlieferungen gehalten, denen er sich in seinen Eigenbeiträgen hautnah angepasst hat. Geradezu fabulös der rituelle Aufbau der Verlobungsfeier mit ihren immer neuen Tänzerauftritten. Ein bisschen schwer tut er sich mit den pantomimischen Aktionen, aber das liegt auch an den Tänzern, die dafür einer besonderen Schulung bedürften. Jedenfalls geht man regelrecht berauscht in die Pause. Um danach noch eine Steigerung zu erfahren mit dem „Königreich der Schatten“ und der ebenmäßigen Harmonie der 24 Bayaderen – plus den Solisten.

Ein großes Kompliment an das für die Wiederaufnahme zuständige Ballettmeister-Team! Ihm ist auch die exquisite stilistische Kompetenz des Bayerischen Staatsballetts zu verdanken: es ist – Stuttgart, Berlin und Hamburg in allen Ehren! – die klassischste aller unserer Ballettkompanien. Diverse Rollendebüts an diesem Abend! Auch Lucia Lacarra als Nikija – eine Idealbesetzung ihrer bisher wohl besten Münchner Rolle – schon von ihrer Erscheinung her (selbst noch in der Verschleierung), mit ihrem langgestreckten Gesicht, ihren so wunderbar kantablen Phrasierungen – auch ihrer Beine, denen man fast ein Port des jambes andichten möchte. Und Cyril Pierre als Solor, ihr perfekt auf sie eingestimmter, unerschütterlich verlässlicher Partner, in seinen Soli ein eleganter, wenn auch kein bravouröser Virtuose. Auch Natalia Kalinitchenko debütiert an diesem Abend als Gamzatti – eine noch etwa zögerliche Annäherung an die Rolle, ohne die nötige erotische Verführungskraft – dafür mit toll verzögerten Pirouetten, wie die decrescierenden Spitzentöne großer Sängerinnen.

Später dann auch Alen Bottaini als Goldenes Idol, aber der fällt doch merklich gegen den furiosen Hamburger Arsen Megrabian ab. Aber das ist die Crux (nicht nur) der Münchner Produktion: der dramaturgisch zusammengestoppelte Schlussakt mit dem verlegenen Pas de trois für Gamzatti, Solor und Nikija, nicht zu reden von der verschenkten Apotheose. Da hätte München nach den Wien-Berliner Lösungsvorschlägen Malakhovs unbedingt noch nachbessern müssen. Damit ist das Finale in München so banal wie in Hamburg, Paris, London und beim ABT. Schade, denn die Münchner „Bayadère“ ist ansonsten ein leuchtendes Beispiel der neuen deutschen Ballettkultur.

Kommentare

Noch keine Beiträge